Auf Fontanes Spuren Die MAZ erwandert die Mark
Zwischen 1862 und 1889 schrieb Theodor Fontane seinen Klassiker "Wanderungen durch die Mark Brandenburg".
Wie sah der Neuruppiner Schriftsteller die Landschaft, wie schätzte er die Menschen ein? Was hat sich seither verändert - und was stellt sich im Jahr 2019 noch genauso dar?
Die Märkische Allgemeine würdigt
Theodor Fontane im Jahr seines 200. Geburtstages: Zehn Touren aus den berühmten "Wanderungen" wird unser Autor Lars Grote (Foto) nachlaufen.
Jeden Monat veröffentlichen wir in unserer Multimedia-Serie eine neue Route zum Nachwandern.
Von Birnen und anderen Besonderheiten Durch das Havelländische Luch nach Ribbeck, wo das Epizentrum des Fontane-Jahres liegt
Die Akazie ist früh abgefroren dieses Jahr, das ist nicht gut fürs Luch, vor allem ist es schlecht für Eugen Falkenhagen. Der Mann ist Imker, hat 15 Bienenvölker, einen Rest der Melodie aus seiner Heimat Poznan hat er sich in seinem Deutsch bewahrt – wenn Falkenhagen zu den Bienen ähnlich freundlich ist wie zu den Menschen, dann haben es die Tiere gut bei ihm.
Leider aber sind die Bienen nicht allein auf Eugen Falkenhagen angewiesen, sondern auch auf die Natur. Im Mai gab es Frostnächte. Die Akazie strich die Segel. Die Bienen haben sich an Ahorn, Wiesenblumen und Löwenzahn gehalten.
„Dieses Jahr war für die Bienen keine Katastrophe, doch es war auch nicht besondern üppig“, sagt Falkenhagen, der zum Glück ein weiteres Standbein neben seinem Honig hat, den er vor seinem Haus in Buschow (Havelland) verkauft: „Blüten Glas 4,50 Euro, Linden Glas 5 Euro.“ Wer die knappe Akazie will, zahlt 4,75 Euro.
Das
andere Standbein: Eier, zehn Stück für 2,50 Euro. Ein Nachbar kommt vorbei,
hält mit dem Auto vor dem Haus von Falkenhagen, in seinem Garten treiben es die
Blumen jetzt besonders bunt.
Eier? Kein Problem. Aber Fontane? Wenn jemand nach
dem Dichter fragt, dreht sich Falkenhagen um und geht ins Haus. „Hannelore!“,
ruft er, „da steht einer am Zaun und will was von Fontane.“
Hannelore
Falkenhagen kommt heraus, in Eile, „ich muss gleich zum Friseur.“ Doch wenn man
mit Fontane kommt und seinen Texten übers Havelländische Luch, dann findet
diese Frau Entspannung und sie nimmt sich Zeit für eine sehr private Auskunft:
„Was meinen Sie, wie gerne ich oben am Bienenhaus sitze und in die Landschaft
schaue!“ Was sieht sie dort? „Wiesen, Sträucher, Bäume, den Fuchs, der seine
Löcher vor zwei Jahren im Acker hatte. Wildschweine, Kraniche.“
Man muss in Buschow geboren sein, wie Hannelore Falkenhagen, um aus dem spröden Landstrich diese Poesie zu destillieren. Eugen Falkenhagen wiederum versteht sich auf die Fakten: „Naja, der Boden“, sagt er. „Es ist ein Mischmasch, wir haben viel Sand, die Bodenwertzahl liegt bei 20 Punkten.“
Das bedeutet: „Ist nicht gut fürs Getreide, auch Raps hat es schwer. Wintergerste und Weizen aber kommen durch.“ Die Rinderzucht „ist komplett eingegangen“, das Gras taugt nicht dafür. „Nur ein paar Galloways haben es geschafft“, sagt Falkenhagen, der Akkordeon spielt, wenn Schulklassen oder Rentnergruppen kommen, um sein kleines „Bienenmuseum“ zu besuchen.
Den Kontakt zu den Schulen knüpft seine Frau, die 27 Jahre lang Hortleiterin in Buschow war. Nach der Pensionierung hat sie Kindern mit Lese- und Rechtschreibschwäche im Ehrenamt geholfen. Matthias Platzeck hat sie zweimal dafür ausgezeichnet, in seiner Zeit als Ministerpräsident.
Dieses menschliche Engagement hat kaum verfangen bei Fontane, er hat dem Havelländischen Luch ein unpersönliches, auf eine ungläubige Weise neugieriges Kapitel in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ gewidmet.
Fontane
referiert, er schreibt nicht über eigene Wege durch das Lurch, sondern guckt
auf andere, die dieses Areal durchmessen haben:
„Das Havelland, oder mit anderen
Worten jene nach drei Seiten hin von der Havel, nach der vierten aber vom
Rhinflüsschen eingeschlossene Havelinsel, bestand in alter Zeit aus großen, nur
hier und dort von Sand und Lehmplateaus unterbrochenen Sumpfgebieten, die sich,
trotz der mannigfachen Veränderungen und Umbildungen, bis diesen Tag unter dem
Sondernamen ,das Havelländische Luch’, oder auch bloß ,das Luch’ erhalten
haben.
Und sie haben in der Tat Anspruch auf eine unterscheidende Bezeichnung,
da sie in Form und Art von den fruchtbaren Flussniederungen anderer Gegenden
vielfach abweichen.“
Er
vermutet:
„Im großen und ganzen darf man vom ,Luche’ sagen, dass es weniger seine
Produkte, als vielmehr sich selbst zu Markte bringt – den Torf. Denn das Luch
besteht großenteils aus Torf. Seitdem es aufgehört hat, ein bloßer Sumpf zu
sein, ist es ein großes Gras- und Torfland geworden. Linum, der Hauptsitz der
Torfgräbereien, ist das Newcastle unserer Residenz.“
Torf? „Gibt es hier seit dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr“, sagt Eugen Falkenhagen. Die Gegend sei „seit zwei Jahren trocken“, der Sommer bringt keinen Regen mehr. So gesehen kann man über jene rigorosen Episoden aus der alten Zeit, welche Fontane aus den Texten des Brandenburger Geologen Karl Friedrich von Klöden zitiert, heute nur noch staunen.
Klöden
sah das Luch als eine „wilde Urgegend, wie die Hand der Natur sie gebildet
hatte, ein Seitenstück zu den Urwäldern Südamerikas, nur kleiner und nicht
Wald, sondern Luch.“
Hier herrscht das Recht des Stärkeren. Klöden schrieb:
„Oft blieb eine Kuh im Moraste stecken und ward nach unsäglicher Mühe kalt,
kraftlos und krank wieder herausgebracht, oder wenn dies zu schwer hielt, an
dem Orte, wo sie versunken war, geschlachtet und zerstückt herausgetragen.“
Der
Soldatenkönig machte sich daran, dem Luch das Urwaldhafte auszutreiben. Fontane schreibt:
„Das große Havelländische Luch blieb in seinem Urzustand bis 1718, wo
unter Friedrich Wilhelm I. die Entwässerung begann. (...) Im Mai 1719 waren
schon über 1000 Arbeiter beschäftigt, und der König betrieb die Kanalisierung
des Luchs mit solchem Eifer, dass ihm selbst seine vielgeliebten Soldaten nicht
zu gut dünkten, um mit Hand anzulegen.
200 Grenadiere, unter Leitung von
zwanzig Unteroffizieren, waren hier in der glücklichen Lage, ihren Sold durch
Tagelohn erhöhen zu können.“
Das Luch ist leer, nicht viele Menschen wohnen dort, wer nach Groß Behnitz wandert, stößt dort auf einen Ort, der sich „ein lachendes Dorf“ nennt, was nach der Tour durchs stille Luch durchaus willkommen ist.
Dann
legt er eine Liste an, in die sich jedes Dorf der Gegend sehnt:
„Und
an dieses Teppichs blühendem Saum / All die lachenden Dörfer, ich zähle sie
kaum: / Linow, Lindow, / Rhinow, Glindow, / Beetz und Gatow, / Dreetz und
Flatow, / Bamme, Damme, Kriele, Krielow, / Petzow, Retzow, Ferch am Schwielow,
/ Zachow, Wachow und Groß-Behnitz, / Marquardt-Ütz an Wublitz-Schlänitz, /
Senzke, Lenzke und Marzahne, / Lietzow, Tietzow und Rekahne, / Und zum Schluss
in dem leuchtenden Kranz: / Ketzin, Ketzür und Vehlefanz.“
Das Lachen im Dorf sucht man zunächst vergebens. Auf dem Landgut Stober, dem großen Backstein-Ensemble im Zentrum des Ortes, klemmen sich ernste Menschen ihr Handy ans Ohr und tigern unruhig übers Areal, weil sie Empfang für die Mobilverbindung suchen.
Das Landgut bietet Hotel und Brennerei, doch auch viel Möglichkeit für Tagungen. Erstmals wurde es 1173 urkundlich erwähnt, es gehörte wechselnden Besitzern, um 1800 auch dem Grafen Peter Alexander von Itzenplitz – ihm widmet Fontane ein Kapitel in den „Wanderungen“.
Doch Itzenplitzs Nachfahren verkauften das Gut wegen Misswirtschaft 1866 an den Berliner Lokfabrikanten Albert Borsig, der es in ein vorbildliches Mustergut verwandelte, auf dem mit modernsten landwirtschaftlichen Methoden gearbeitet wurde.
Weiter nach Ribbeck, dem Epizentrum des Fontanejahres. Dort wuchs die Birne, dort ist jene Ballade gediehen, der Fontane seinen Ruhm verdankt, auch bei Leuten, denen Romane wie „Effi Briest“ und „Der Stechlin“ zu dick sind.
Theodor
Fontane aber ist nie selbst in Ribbeck gewesen, was sie vor Ort mit einem
selbstbewussten, süß-sauren Lächeln quittieren. Die Redewendung von dem
Epizentrum darf man wörtlich nehmen:
„Wenn ich sage, dass hier in diesem Jahr
ein Erdbeben stattfand, ist das noch untertrieben“, sagt Frank Wasser,
Geschäftsführer von Schloss Ribbeck – den manche als „Schlossherrn“ sehen, was
er nicht gerne hört, denn er trägt die arrivierte Garderobe eines
Geschäftsmanns, Anzug mit Krawatte, nicht das güldene Gewand des Königs.
Wasser
hebt an zum Gedicht: „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
/ Ein Birnbaum in seinem Garten stand“.
Er spricht den Satz wie einen
Rap, man spürt den Flow. „Es steckt ja schon die Postleitzahl in diesen ersten
Zeilen! Fontane nennt gleich die Adresse, gibt es einen bessere Claim für unser
Haus?“ Wasser ist glücklich: „Ganz Deutschland lernt dieses Gedicht, jeder
kennt Schloss Ribbeck.“
Frank
Wasser nippt am Kaffee, dann fährt er fort:
„Und kam die goldene Herbsteszeit
/ Und die Birnen leuchteten weit und breit, / Da stopfte, wenn’s Mittag vom
Turme scholl, / Der von Ribbeck sich beide Taschen voll, / Und kam in Pantinen
ein Junge daher, / So rief er: Junge, wiste ’ne Beer? / Und kam ein Mädel, so
rief er: Lütt Dirn, / Kumm man röwer, ick hebb ’ne Birn.“
Frank Wasser, der auch ein renommierter Pianist ist und Gründer der Havelländischen Musikfestspiele, deutet die Zeilen als „humanistisches Gedicht“. Es gehe um „Freiheit, Großzügigkeit, Nachhaltigkeit“. Um eine, und Wasser straff sich bei diesem Wort, nicht ohne den Hinweis, dass er nun Managerdeutsch spreche, „Proaktive Zukunftsorientierung“.
In den alten Birnbaum des Gedichtes schlug 1911 der Blitz ein, zu sehen ist ein Rest des Baumes, ein schwarzer Scheit, im Hochgeschoss der Ribbecker Kirche. Im Kirchgarten steht die vierte Nachpflanzung. Inzwischen ohne Birnen. „Vor drei Wochen haben wir die letzte geerntet“, berichtet Wasser, der ein Auge zudrückt, wenn Gäste sich die Birnen pflücken. Das lässt er durchgehen.
Auch Wasser ist ein humanistisch orientierter Ribbecker. Doch neulich habe jemand derart rüde an den Ästen im Schlossgarten gerüttelt, wo die 16 Bundesländer je einen Baum gepflanzt haben, dass sogar Wasser fast hinausgegangen wäre, um das Obst vor Vandalismus zu bewahren.
Seit Mai haben sie 10.000 Besucher in der neuen Fontane-Ausstellung des Schlosses gezählt. Das ist eine enorme Zahl. Wer in die Ausstellung geht, sieht eine riesige Holzbirne in den Gang gezwängt, bemalt von einer Kulissenbauerin, die zwei Wochen auf dem Bauch lag, um dem Obst den Anstrich zu geben.
Es
gibt einen Zahlenstrahl im Museum, wo Fontanes Leben begehbar aufgebaut ist,
einen Lesesaal, einen Saal der Monarchen und einen für das Havelland.
„Es lässt
sich alles anfassen, man kann die Dinge greifen, das ist ein großer Schritt weg
von der digitalen Welt, in der man höchstens noch ein Handy in der Hand hat“,
sagt Wasser. Auch das Museum ist eine Ballade, so knapp und doch poetisch
aufgebaut, präzise und verwinkelt.
Gegenüber
des Herrenhauses, das sie hier Schloss nennen, wohnt Friedrich-Carl von
Ribbeck. Er ist ein Nachfahre des historischen Ribbeck aus Fontanes Gedicht.
Fontane schrieb die Ballade nach der leicht rumpelnden Fassung der Hertha von
Witzleben, sie war die Enkelin von Karl Friedrich Ernst von Ribbeck, dem
Erbauer des Herrenhauses. Der aktuelle Ribbeck zog 1998 ein, seither hat dieser
Reim wieder Berechtigung: „Herr von Ribbeck zu Ribbeck im Havelland.“
Wasser lobt Brandenburg als „herbes Land, das durch seine herrliche Einfachheit besticht“. Er sehe das als „Back to the Roots“, als ein Zurück zu den Wurzeln, nach dem die Menschen sich in diesen Zeiten sehnen.
Wasser ist in Trier geboren, wo ein anderer großer, „proaktiver“ Menschenfreund geboren wurde: Karl Marx. Marx ist im Kurs gesunken, Fontanes Birnen aber schmecken weiterhin.
Und weil es auch in Ribbeck mit dem Ende dieses Jahres kein Dichter-Jubiläum mehr zu feiern gibt, denken sie schon an die Zeit danach. Sie werden, wenn auch beiläufig, Beethovens 250. Geburtstag feiern. Frank Wasser wird selbst auf die Bühne steigen.
Das Leben geht weiter, auch nach dem Fontanejahr. Gerade in Ribbeck ist das ein kühner, kaum vorstellbarer Satz.
Fünf Fakten über Ribbeck und das Luch
Das Havelländische Luch
ist ein Niederungsgebiet innerhalb des Havelbogens westlich von Berlin und
bildet die Kernlandschaft des Havellandes.
Es liegt im Becken des Berliner
Urstromtals, das hier während des Weichselhochglazials vor etwa
18.000 Jahren entstand. Seine Größe beträgt etwa 30000 Hektar.
Im Osten und Nordosten
grenzt das Havelländische Luch an das Ländchen Glien, im Osten an die
Zehdenick-Spandauer Havelniederung, im Süden an die Nauener Platte, im Westen
an das Rathenower Moränengebiet, das Ländchen Friesack und den Zootzen. Im
Norden wird es durch das Ländchen Bellin vom Rhinluch getrennt.
Ribbeck ist ein
Ortsteil der Stadt Nauen im Landkreis Havelland. Bekannt wurde er durch Fontanes Gedicht „Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland“, welches an Hans Georg von Ribbeck (1689–1759) erinnert.
Der im Gedicht beschriebene Birnbaum auf dem Ribbeckschen Grab wurde bei einem
Sturm am 20. Februar 1911 umgeworfen. Sein Originalstumpf befindet sich heute
in der Dorfkirche (Foto).
Hin und weg
Vom Potsdamer Hauptbahnhof aus nimmt man die Regionalbahn RB 21 Richtung Wustermark bis zum Zielbahnhof (Fahrtzeit 27 Minuten).
In Wustermark steigt man in den Regionalexpress RE 4 Richtung Rathenow um und erreicht damit nach elf Minuten den Bahnhof Buschow im Havelländischen Luch.
Wer direkt zum Fontane-Museum im Schloss Ribbeck will, nimmt den RE 1 Richtung Cottbus bis Berlin-Charlottenburg und steigt dort in die RB 14 Richtung Nauen um. In Nauen fährt dann die Buslinie 661 oder 680 nach Ribbeck weiter.
Rund um den Großen Stechlinsee Wo die alte Welt des braven Dubslav auf die Moderne seines Sohnes trifft - was lässt sich hier heute noch vom großen Brandenburger Dichter finden?
Der Mann in Gummistiefeln guckt, ob seine Blumen ihre Köpfe hängen lassen, er ist nur eine Silhouette hinterm Gartenzaun, weit weg, zu weit, um ihn zu rufen. Er sucht Distanz, als wolle er die Leute meiden, weil er befürchten muss, dass man ihn sowieso vertauscht – mit dem Schlossherrn Dubslav aus dem Roman „Stechlin“ von Theodor Fontane.
Denn viele Gäste am Stechlinsee (Oberhavel) glauben, diese Villa sei exakt das Schloss, von dem Fontane schrieb. Doch der hatte seinen morschen Prachtbau nur erfunden.
Der Mann in Gummistiefeln hat deswegen einen Zettel an den Gartenzaun gehängt, in Schönschrift, um die Wahrheit freundlich zu verpacken: „Ortskundige Fontane-Freunde,die den Roman ,Der Stechlin’ gelesen haben und nach dem Schloss Stechlin des Schlossherrn Dubslav suchen, glauben es hier gefunden zu haben. Sie irren.“
Er erläutert: „Die schlossähnliche Villa war ursprünglich ein schlichtes Fachwerkhaus und gehörte dem Rittmeister Michaelis. Ein angeblich durch Heereslieferungen im Ersten Weltkrieg und durch Materiallieferungen für den Reichsautobahn- und Fernstraßenbau wohlhabend gewordener Berliner Müllabfuhrbesitzer erwarb das Haus und ließ es Anfang der 1930er Jahre umbauen.“
Das Haus war ein Hochzeitsgeschenk an seine Tochter Erika, die sich mit Prinz Siegvard von Bernadotte, einem Bruder des schwedischen Kronzprinzen, vermählt hatte. Auch der Schauspieler Heinz Rühmann (Foto) kam zur Hochzeit.
Wer ist berühmter, Heinz Rühmann oder Dubslav von
Stechlin?
Der Schauspieler Rühmann ist real, Dubslav nur die gut erzogene, doch aus der Zeit
gefallene Figur aus einem Buch, das 1975 mit Arno Assmann in der Hauptrolle verfilmt wurde (Foto).
Was wiederum berührt uns mehr, ein glücklicher
Held aus dem Leben oder ein gescheiterter, fiktiver Patron aus der Literatur?
Die Villa Bernadotte wirkt wie die Bühne für beides, die Bücher und den Alltag. Sie hat einen spitzen Giebel und eine lange, steile Treppe, die ihr verlässlich die Bewunderer vom Hals hält. Man könnte dort Dornröschen inszenieren, aber halt auch Hochzeit feiern mit Heinz Rühmann.
Das Haus gehört ins Zwischenreich aus Wahrheit und Fiktion. Genau wie der Stechlinsee, der seit Theodor Fontane das Scharnier zwischen der alten Zeit und der Moderne bildet, die sich in dem Roman belauern.
Fontane hat den See 1873 besucht, er war beeindruckt von der Schönheit, seinem Geheimnis und dem bigotten Wesen, das trotz der stillen Oberfläche mit der Todessehnsucht flirtet.
Im „Stechlin“ hat er ihm ein Denkmal gesetzt, der Roman erschien 1897 zunächst in einer Zeitschrift, ein Jahr, bevor Fontane starb.
Die Leser wurden aufmerksam auf diese Gegend um Neuglobsow – wer Geld hatte, baute sich eine Villa in Ufernähe. Die Grundstückspreise lagen 1903 bei 60 Pfennig, bis 1910 ging es auf sechs Goldmark hinauf.
Neuglobsow war mal ein armes Glasmacherdorf, durch Fontane kam es erst zu Ruhm und dann zu Wohlstand. Heute nennt man das Gentrifizierung, wenn die Preise steigen und das Publikum nicht mehr nur Bratkartoffeln will, sondern raffinierten Fisch und Schaumwein.
Fontane beginnt seinen Roman fast mythisch:
„Im
Norden der Grafschaft Ruppin, hart an der mecklenburgischen Grenze, zieht sich
von dem Städtchen Gransee bis nach Rheinsberg hin (und noch darüber hinaus)
eine mehrere Meilen lange Seenkette durch eine menschenarme, nur hie und da mit
ein paar alten Dörfern, sonst aber ausschließlich mit Förstereien, Glas- und
Teeröfen besetzte Waldung. Einer der Seen, die diese Seenkette bilden, heißt der
Stechlin’.“
Fontane lässt den See nicht einfach See sein, sondern
sagt ihm Kräfte nach, die ins Fantastische und gar ins Fabelhafte spielen:
„Alles
still hier. Und doch, von Zeit zu Zeit wird es an ebendieser Stelle lebendig.
Das ist, wenn es weit draußen in der Welt, sei’s auf Island, sei’s auf Java zu
rollen und zu grollen beginnt oder gar der Ascheregen der hawaiischen Vulkane
bis weit auf die Südsee hinausgetrieben wird. Dann regt sich’s auch hier, und
ein Wasserstrahl springt auf und sinkt wieder in die Tiefe.“
„Das
wissen alle, die den Stechlin umwohnen und wenn sie davon sprechen, so setzen
sie wohl auch hinzu:
,Das mit dem Wasserstrahl, das ist nur das Kleine, das
beinah Alltägliche; wenn’s aber draußen was Großes gibt, wie vor hundert
Jahren, dann brodelt’s hier nicht bloß und sprudelt und strudelt, dann steigt
statt des Wasserstrahls ein roter Hahn auf und kräht laut in die Lande
hinein.’“
In einem malerisch sanierten Glasmacherhaus sitzen Susen Liepner und Renate Fechner. Sie arbeiten in der Touristeninformation des Ortes und wissen, dass Fontane ihnen viel Arbeit abgenommen hat – „denn der Roman ist die beste Werbung für den See“, sagt Liepner.
Den „Stechlin“ kann man bei ihnen als Taschenbuch kaufen, 446 Seiten, 14 Euro. Sie sind auch präpariert für andere Bedürfnisse. Ein mundgeblasenes Bierglas ist für 18 Euro zu haben, doch auch ein Reisemagazin über Neapel steht im Ständer, falls das Märkische doch eine Spur zu nüchtern wirkt und man es würzen muss mit einer Prise Mittelmeer.
Sie erzählen von Literaturvereinen, die aus ganz Deutschland nach Neuglobsow reisen, mit Buch und Wanderstock unter dem Arm, und selbst an einem Wochentag im frühen Herbst kommt laufend Kundschaft durch die Tür. Der 200. Geburtstag des Dichters wird in enger Taktung gefeiert.
Und trotzdem müssen Frau Liepner und Frau Fechner fachlich einschreiten. Nicht nur das Schloss hat Fontane erfunden, „er hat auch die Sage vom roten Hahn erweitert“. Sie kopieren gleich den Zettel, auf dem der Mythos vom Hahn präzise nachgewiesen wird.
In den Worten von Karl Eduard Haase, der die „Sagen
aus der Grafschaft Ruppin und Umgebung“ 1887 notiert hat:
„Vor vielen Jahren
lebte im Fischerhaus Stechlin ein Fischer namens Minack. Der war ein sehr roher
und wilder Mann, der im Vertrauen auf seine gewaltigen Kräfte weder Mensch noch
Geister fürchtete."
„Selbst wenn ihm Nachbarn und Freunde den guten Rat gaben, er solle vor dem großen roten Hahn im Stechlinsee Respekt haben und sich wohl hüten, an den und den Orten zu fischen, wo der Hahn es nicht dulden wolle, so lachte er nur darüber.“
Das war ein Fehler, denn im Märchen wird stets jener
bestraft, der nicht gottesfürchtig lebt und glaubt, die dicksten Fische fängt
man mit den derbsten Sprüchen. Man ahnt, die Sache ging schief.
Minack also fuhr hinaus: „Er wusste, dass sich hier die Maränen, sehr geschätzte Fische aus der Familie der Lachse, zahlreich aufhielten. Es war böses, stürmisches Wetter, und mit Zittern und Zagen folgten ihm seine Gesellen“.
„Aus den schäumenden Wogen rauschte der rote Hahn empor. Während er mit seinen mächtigen Flügeln das Wasser peitschte, betäubte er mit donnerndem Krähen den unglücklichen Fischer und zog ihn mit sich hinab in die Tiefe.“
Auf zum Fischer am Stechlin, um nachzusehen, ob es
diesen Hahn noch gibt. Ja, da steht er, auf der Scheune, wo die Fischersfrau
dabei ist, ihre weiße Wäsche aufzuhängen.
Unterm Hahn sieht man ein Schild:
„Esst mehr Fisch, immer nur Wurst ist doch auch Käse.“ Man spürt, der Hahn hat
an Autorität verloren. Er ist nicht mehr der Drache, der den Übermut des
Menschen gerne auch drakonisch in die Schranken weist.
Er gleicht nun einem Wappentier der guten Mahlzeit.
Man sollte einfach mal Regina Paulick in der Fischerküche fragen, die darauf
Wert legt, eine geborene „Böttcher“ zu sein.
Weil die Familie Böttcher die
Fischerei samt Restaurant in dritter Generation führt. Das Geschäft liegt
hundert Meter vor Neuglobsow, immer am Ufer entlang, gegen den Uhrzeigersinn.
Regina Paulick hält sich mit dem roten Hahn nicht auf, der gilt hier nur noch als Maskottchen, doch sie kennt sich aus mit der Maräne, dem Edelfisch, nach dem die Kunden alle fragen. Man kriegt ihn gebacken, geräuchert oder sauer eingelegt, je Portion 10,50 Euro.
Die Maräne ist ein seltener Fisch, er braucht „klares, sauberes und tiefes Wasser“, erzählt Paulick, das alles haben sie zu bieten am Stechlin. Vor guten 15 Jahren hat ein Doktorand über die Maräne im Stechlin geforscht, er fand heraus, dass es die Sorte aus dem See wirklich nur hier gibt, neun bis zwölf Zentimeter lang. Er nannte sie Fontane-Maräne, denn er selbst hieß Schulz – eine „Schulz-Maräne“ hätte es an Glanz vermissen lassen.
Gerade verkauft Regina Paulick ein Maränenfilet nach Matjes-Art, eingelegt in Öl. Die Geschäfte laufen gut, auch im Winter haben sie am Wochenende offen. „Der See ist ein Magnet“, sagt sie, Fontane sei Dank. Mit der Maräne kommt ein exklusiver, schmackhafter Fisch hinzu.
Diese Standortvorteile sind ein Segen, auch wenn just der Standort vor 50 Jahren verlegt wurde, weil das Stammhaus, das nicht mehr westlich, sondern fortan östlich von Neuglobsow lag, in die Drei-Kilometer-Sperrzone des Atomkraftwerks Rheinsberg fiel.
Das AKW wurde ans Ufer des Stechlins gebaut, man hat es 1966 in Betrieb genommen, seit 1990 ist es stillgelegt. Kameras zur Überwachung gibt es weiterhin am Zaun.
Das Kraftwerk steht wie deplatziert in dem Idyll, es wirkt so artfremd wie der rote Hahn, der freche Fischer in die Tiefe zerrt und bei Fontane die Vulkane und die Erdbeben verkündet. Warum zieht so ein friedliches Gewässer, das von 17 Kilometern Uferweg gerahmt wird, die Sage vom rabiaten Hahn an, warum stand ihm ein unförmiges Kraftwerk zur Seite, das heute wie ein Geisterschloss aussieht?
Im „Stechlin“ hat er ihm ein Denkmal gesetzt, der Roman erschien 1897 zunächst in einer Zeitschrift, ein Jahr, bevor Fontane starb.
So harmlos, wie der ahnungslose Gast vermutet, sei der See halt nicht, beteuern die Fischer – der Stechlin sei kompliziert, es gebe Strudel, er zeige Jähzorn, auch wenn er das zunächst verbirgt.
Schon Fontane hat davon geschrieben. Nicht in seinem Roman, sondern auf den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“, wo er dem See erstmals begegnet ist.
Er hat ihm die Seele vermessen, wie ein Psychologe:
„Da lag er vor uns, der buchtenreiche See, geheimnisvoll, einem Stummen gleich, den es zu sprechen drängt.
Aber die ungelöste Zunge weigert ihm den Dienst und
was er sagen will, bleibt ungesagt.
Und nun setzen wir uns an den Rand eines
Vorsprungs und horchen auf die Stille. Die blieb, wie sie war: Kein Boot, kein
Vogel; auch kein Gewölk. Nur Grün und Blau und Sonne.“
Fast schließt er den Bericht mit dem naiven Ton von einem Kinderbuch.
So oder so, der Stechlin ist einer der weltweit am
besten untersuchten Seen. Literarisch hat Fontane im Roman und seinen
Wanderungen glänzende Arbeit geleistet.
Doch auch die Gewässerforscher vom Leibniz-Institut, das auf dem vormaligen Areal der Fischerei zu Hause ist und hier ein Seelabor betreibt, haben den Stechlin in beispielloser Gründlichkeit geprüft, weil das Kraftwerk vor der Haustür lag.
Dort wurde erwärmtes Kühlwasser eingeleitet, das hat dem See geschadet. Heute hat er brillante Trinkwasserqualität. Alles bestens also?
Inzwischen untersuchen die Wissenschaftler die Auswirkungen des Klimawandels.
Fontane schrieb über den Stechlin:
„Und Launen hat er und man muss ihn ausstudieren wie eine Frau.“
Von Frauen wusste Theodor Fontane einiges, zumindest von den selbst erfundenen, sei es Jenny Treibel, Melusine oder Effi Briest. Auch von stillen Wassern, die tief sind, verstand er eine Menge.
Fünf Fakten über den Großen Stechlinsee
Der Große Stechlinsee liegt im Norden des Landkreises Oberhavel, mit 70 Metern ist er der tiefste See Brandenburgs und der größte Klarwassersee in Norddeutschland. Er verfügt über exzellente Trinkwasserqualität.
Der Name „Stechlin“ soll sich von „Steklo“, dem slawischen Wort für Glas, herleiten.
Theodor Fontane gab seinem letzten Roman 1897 den Titel „Der Stechlin“. Darin geht es um das Schicksal eines fiktiven Adelsgeschlechts „von Stechlin“, das am Großen Stechlinsee ansässig ist.
Fontane fasste das eher handlungsarme Buch im lapidaren Satz zusammen: „Zum Schluss stirbt ein Alter und zwei Junge heiraten sich.“ Es rankt sich um das zu Ende gehende Leben des verwitweten alten Junkers und das durch Heirat seines einzigen Sohnes Woldemar fortgesetzte neue Leben. Die alte Zeit wird konfrontiert mit der Moderne.
Das Dorf Neuglobsow liegt am Ostufer des Sees, die ehemals selbstständige Gemeinde ist seit 1998 ein Teil der Gemeinde Stechlin. Der Ort entstand 1780 im Umfeld einer Glashütte, noch heute prägen die Fachwerkhäuser der Glasmacher das Ortsbild. Seit 2008 ist Neuglobsow ein staatlich anerkannter Erholungsort.
Hin und weg
Vom Potsdamer Hauptbahnhof nimmt man die Regionalbahn RB 20 zum Oranienburger Hauptbahnhof und steigt dort in den RE 5 Richtung Rostock um.
In Fürstenberg (Havel) muss man dann erneut umsteigen - in die Buslinie 839 Richtung Menz, die nach zwölf Minuten Fahrtzeit Neuglobsow erreicht.
Alternativ kann man den RE 5 auch in Gransee verlassen und dort in die Buslinie 836 bis Neuglobsow umsteigen, diese Variante dauert allerdings 24 Minuten länger.
Von Blankensee nach Trebbin Der Weg war für den Dichter eine Schatzsuche, auf der er nur in Teilen fündig wurde – heute trifft man auf ein Bilderbuchdorf
Endlich
keine Ahnung mehr, wohin es geht. Ein Rascheln im Wald, war das ein Windstoß
oder eine Wildsau? Das Handy ohne Netz. Fast riecht das nach Fontanezeit und
19. Jahrhundert.
In dieser Serie auf Fontanes Spuren gab es oft eine Touristeninfo vor der Brust, ein Funknetz zur Hand und, wenn die Kräfte schwanden, eine Eisdiele um zwei, drei Ecken. Doch nun: keine Mensch mehr, keine ausgetretenen Wege. Nur noch Bäume.
Die roten Balken an der Rinde, sagte die Karte auf dem Parkplatz, geben Orientierung. Längst lassen sich diese Balken kaum noch finden. Durchatmen. Und fest dran glauben, dass es nicht zu Ende geht.
Dass in einer Lichtung irgendwo das Handy wieder arbeitet, um über GPS zu zeigen, wo die Menschen wohnen. Und wo das böse Märchenreich beginnt. Wir reden von den Glauer Bergen, die sich als sanfte Hügel tarnen, doch wuchtige, fast steile Hänge haben.
Sie
liegen am Rand von Blankensee (Teltow-Fläming), einem Ortsteil von Trebbin. Blankensee
ist ein märkisches Bilderbuchdorf, bundesweit lag es schon auf dem zweiten
Platz beim Wettbewerb „Unser Dorf soll schöner werden“ und wurde zum „Schönsten
Dorf in Teltow-Fläming“ gewählt.
Auch Fontane kam hierher, vor allem schrieb er über den Kapellenberg, der den Wanderer nun zu verschlucken droht. Nein, Fontane zu folgen, ist nicht immer dieses zahme, bildungsbürgerliche Hobby, das ist ein Trugschluss. Gerade jetzt klemmt man im Würgegriff der Flora.
Eingebrockt
hat sich dieses Irrlichtern am Berg der Dichter selbst. Sonst fährt er in den
„Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ meist mit der Kutsche, er nimmt
Routen, die sich auf jeder Karte finden lassen.
Doch diesmal ist er zu Fuß
gelaufen. Kaum ein Wort über den Weg, den er genommen hat. Die Geschlechter des
Landadels dekliniert er hinab bis in das letzte Glied, doch geografisch bleibt
er plötzlich vage.
Zunächst
war auch der Dichter ratlos:
„Der Zufall wollt’ uns wohl und am Dorfrande
wurden wir alsbald eines Mannes ansichtig, der, in einem offenen Torwege
stehend, unserm unsichren Umhersuchen schon seit einiger Zeit gefolgt zu sein
schien.
Als er uns auf sich zukommen sah, kam er uns seinerseits unter artigem
Gruß entgegen. Es war ein großer, schöner Mann von militärischer Haltung, dabei
zugleich von jener ruhigen Sicherheit, wie sie die bibelfesten Leute zu haben
pflegen.“
Fontane
fragt ihn, ob er ihnen den Weg auf den Kapellenberg zeigen könne. Der
Mann weiß nicht Bescheid, er lebt erst seit acht Tagen hier. Sie laufen dennoch
los:
„Erst
über ein breites Brachfeld hin und bald danach einen Waldweg hinauf, erreichten
wir die Kuppe des unser nächstes Ziel bildenden Kapellenberges und betraten den
alten Bau, der seinerzeit diesem Berge den Namen gegeben.“
„Zwei
Wände sind eingestürzt, zwei stehen noch, so dass es auch für den Laien ein
leichtes ist, sich alles wieder in Vollständigkeit vorzustellen.
Es war eine
gotische Kapelle, zehn Schritt im Quadrat, nach allen vier Seiten hin offen,
genau nach Art jener Baldachine, denen man in alten Domen so oft über dem Altar
begegnet.“
So schildert es Fontane in seinen
„
Wanderungen durch die Mark Brandenburg“.
Doch wenn man diesen Weg tatsächlich irgendwann gefunden hat und nicht ins Reich des bösen Märchenwaldes abgebogen ist, sucht man vergeblich die Kapelle. Sie steht nicht mehr. Nur ein paar rostige Teile lassen sich entdecken.
Woran
das liegt? Fontane gibt einen Fingerzeig. Der Ort könnte zu interessant gewesen
sein, vielleicht wurde er heimgesucht, unter Umständen geplündert:
„An
diesen Kapellenberg knüpfen sich zahlreiche Sagen, die, wie verschieden auch in
ihrer Einkleidung, doch sämtlich auf das alte, namentlich in der Mark beliebte
Thema hinauslaufen, ,dass daselbst ein Schatz vergraben sei.’“
Allerdings ist nie ein Schatz gefunden worden. Darum ist es Zeit, hinein nach Blankensee zu laufen, wo das Leben leicht ist und die Leute freundlich sind – dieser Eindruck teilt sich mit, wenn man sich in der Vorbereitung umhört über dieses vielgerühmte, oft prämierte Dorf.
Keine 100 Meter hinterm Ortsschild winkt ein fremder Mann. „Kennen Sie sich aus?“, fragt er, das fühlt sich an wie im besagten Text von Theodor Fontane, der diese Szene nahezu identisch aufgeschrieben hat. „Nein, leider nicht“, antwortet man – auch das lief ähnlich bei Fontane.
Der Mann und seine Frau, erzählt er, kommen geradewegs aus Poznan, vorher hatten sie Litauen besucht, nun befinden sie sich auf dem Heimweg nach Dortmund, haben in Zossen übernachtet und wollen, bevor es auf die Autobahn geht, noch einen See anschauen. Auf den Blankensee sind sie eher zufällig gestoßen.
Beide, Gisela-Ingrid und Johannes Weissinger, leben im Ruhestand, sie hat als Klinikseelsorgerin gearbeitet, er in der Erwachsenenbildung. Sie sind theologisch ausgebildet und haben gerade im Baltikum eine Holocaust-Überlebende besucht, 97 Jahre alt.
In
Zossen sind sie auf den „weltbekannten Zossener Aktenfund“ gestoßen, Johannes
Weissinger erzählt davon mit einer Leidenschaft, wie andere über Fußball reden
– Hans von Dohnanyi (li.), ein Widerstandskämpfer gegen die Nazis, hatte seine
persönlichen Schriften dort deponiert.
Von Dohnanyi war Teil des Kreises um den Pfarrer Dietrich Bonhoeffer (Foto mit Schülern, 1932), sie wurden verhaftet und wollten den Prozess verschleppen. Doch als die Nazis die Akten in Zossen fanden, hat der Fund sie ans Messer geliefert. Dort standen alle Namen der Personen, die am Attentat von Stauffenberg auf Hitler beteiligt waren.
In Zossen haben die Weissingers auf dem Markt in einem türkischen Bistro Pommes mit Schafskäse gegessen, „2,50 Euro, Mayo und Ketchup waren umsonst, es war die einzige Chance, im Ort nach 20 Uhr etwas zu essen zu kriegen, es schmeckte hervorragend“, berichtet Weissinger. Sie haben „reichlich Trinkgeld“ gegeben.
Nun steht das Paar am Uferwald vom Blankensee, Gisela-Ingrid Weissinger, die aus der Gegend um Berlin stammt, urteilt: „Brandenburg hat sich nach der Einheit sehr zum Guten verändert, es hat sich entwickelt und mir ist unverständlich, warum sich rechtsnationales Gedankengut so breit macht. Es gibt sehr viele Chancen zur Veränderung, die genutzt werden können.“
Fontanes
Interesse am Blankensee waren nicht politisch, lieber vertiefte er sich ins
Leben des örtlichen Kreisdirektors v. Thümen, der nach dem Schatz in der
Kapelle suchte. Über den Ort hat er sich kurz gefasst:
„Unser
erstes war ein Gang durch das Dorf. Am schönsten gelegen ist das Herrenhaus. In
Front ein Elsenbruch, an den Flügeln zwei breite Seespiegel, und zwischen
Schloss und Park ein Wasserlauf, der diese beiden Seeflächen verbindet – das
ist in großen Zügen die Szenerie.“
„Das Gesträuch des Parkes wuchs weit über das Wässerchen hin und schuf einen Laubengang, unter dem die Enten auf und ab fuhren und sich’s wohl sein ließen.“
Fontane war fixiert auf das Idyll, das Malerische ist ihm Quintessenz seines Besuchs. Vielleicht, weil damals, Mitte des 19. Jahrhunderts, Blankensee verschlafen schien und nur für Enten ein Dorado war. Doch woher kommen all die Orden, die dieser Ort für seine Schönheit sammelt?
Am besten lässt sich die Frage bei einem Brötchen mit Aal klären, es kostet faire 4,30 Euro. Wenn man an „Braußes Fischladen“ im Ortskern klingelt, hört man in der Gegensprechanlage Falko Schubert, „ich komme gleich!“ Er fährt dann mit dem Fahrrad von der Fischzucht in der alten Scheune ein paar Meter rüber zum Geschäft – und schmiert das Brötchen.
„Der
Aal kommt aus dem Storkower See“, sagt er, es ist kein Aal aus Blankensee, denn
dem See „geht es derzeit nicht gut.“ Warum? „Es ist zu heiß, es fällt zu wenig
Regen, auch der Winter ist trocken und sehr mild gewesen“.
Das schade dem Wasser und den Fischen. Der Wasserstand liegt um 30 Zentimeter unterm Soll. „Ich will die Lage nicht dramatisieren, der Zustand ist schwierig, aber wir haben Hoffnung, dass es besser wird.“
Zu
wenig Wasser im See? Das ist nicht die Art von Nachricht, die man aus einem
Bilderbuchdorf erwartet. Was sonst ist das Rezept des Ortes Blankensee für gute
Stimmung und Engagement der gut 650 Bewohner?
Falko Schubert sagt, das beginne
in der eigenen Branche, denn es gibt ein zweites Fischgeschäft im Ort. „Es
herrscht keine Konkurrenz, mein Vater hat dort gelernt, wir kennen die Kollegen
gut und schätzen einander.“
Reicht das Dorf, um zwei Fischgeschäfte zu ernähren? „Kein Problem“, sagt Schubert, „das geht tadellos, wir haben hier so viele Gäste aus Potsdam, Berlin, ganz Brandenburg, wir leben von der Ruhe. Unsere zwei Ferienwohnungen am Fischgeschäft sind bestens ausgebucht, so geht es vielen in Blankensee.“ Gerade kommt eine polnische Familie, die ausgiebig darüber diskutiert, wer welches Fischbrötchen bestellt.
„Ich
bin hier geboren, war hier in der Kita und in der Grundschule“, erzählt
Schubert, er ist knapp über 30, „es ist schon in meiner Kinderzeit ein tolles
Dorf gewesen. Jeder möchte es schön haben, es gibt kaum Müll und Dreck.“
Der
Fischladen und die Fischzucht haben ein Blockheizkraftwerk auf dem Dach, samt
Stromspeicher, genau so ist es in der Landbäckerei.
Sie sorgen für sich selbst. Und zwei, drei Mal im Jahr packen sie gemeinsam an, säubern ihr Dorf, der Spielplatz wird gestrichen, der Parkplatz entrümpelt, „der wuchert sonst zu.“ Hinterher grillen sie und trinken ein Bier. Aber Baden können sie nicht. Das ist im See verboten, „wir sind Naturschutzgebiet.“
Der Ort wächst, neue Menschen ziehen her. „Doch es gibt Grenzen“, sagt Schubert, „wir würden keinen Wald roden, um neue Häuser zu bauen.“ Hier ist der Wald heilig – darum kann man sich herrlich in ihm verlaufen.
Und Fontane? „Ja, wir wissen, dass er hier war, aber viel kann ich dazu nicht sagen. Er spielte eine Rolle in der Vergangenheit, aber nicht in der Gegenwart“, erläutert Schubert. Auch im Bauernmuseum des Ortes wird Fontane nicht als Held gepriesen, selbst im 200. Geburtsjahr.
Die aktuelle Sonderausstellung heißt „Hühnchen mal anders“, mit kurzer Einführung: „Diese Ausstellung geht einem kleinen Herzenswunsch nach, Hühner und Hähne mal aus einem etwas anderen Blickwinkel ins Bewusstsein zu rücken, als es unsere heutige Zeit leider diktiert. Wir versuchen, auf bisher ungestellte Fragen Antworten zu finden.“ Fontane ist hier nicht der Platzhirsch. Sie haben andere große Tiere.
Auch in Trebbin, zehn Kilometer östlich, wird Theodor Fontane nicht als Held gesehen. Die Sympathien hat er sich verscherzt.
Sein Text über den Ort gleicht Blitz und Donner:
„Ich passierte die Straßen und überall bot sich dasselbe Bild: die Kirche so trist wie die Stadt und die Stadt so trist wie die Kirche. Hier und dort spreizte sich eine Toilette, das einzige, woran sich die Nähe der Hauptstadt erkennen ließ; aber dieser Flitter ließ die Stadt nur um so farbloser und die farblose Stadt hinwiederum den Flitter nur um so prahlerischer erscheinen.“
Da sage noch jemand, Fontane verkläre die Mark und rede sie schön.
Die Stadt hat sich entwickelt seit Fontanes Zeiten. Dennoch scheint sich die Touristeninfo im „Parkhotel Trebbin“ zu verstecken. Der Mann am Empfang sagt, er wisse wohl, was Fontane über Trebbin geschrieben habe, aber er sei nicht nachtragend. Darum liege gleich neben der Rezeption das „Fontane“-Zimmer. Doch dort wohnen keine Gäste. Es sei nur ein kleiner Konferenzraum.
Sie geben sich Mühe, den Dichter zu ehren, doch sie tun es nüchtern. Von Flitter ist hier keine Rede. Für Fontane gibt es keinen Schatz zu heben in Trebbin. Dafür war er ohnehin nach Blankensee gereist, durch den Wald, wo es zwar keine Kiste voller Gold gibt, aber ein gutes Brötchen mit Aal.
Fünf Fakten über Blankensee und Trebbin
Blankensee ist ein
Ortsteil der Stadt Trebbin und liegt im Landkreis Teltow-Fläming. Derzeit leben
etwa 650 Menschen im Dorf.
Der Ortsname Blankensee
hat slawischen Ursprung, „lanka“ umschreibt etwas Blankes, doch kann auch die
Bedeutung „sumpfig“ und „morastig“ tragen.
Das Gebiet um den
Blankensee wurde in der Mitte des 12. Jahrhunderts vom Erzbistum Magdeburg
erobert. Albrecht der Bär holte mit Rheinländern, Holländern und Flamen
zusätzliche Siedler ins Land. Sie gaben dieser Landschaft den Namen „Fläming“.
Im bundesweiten Wettbewerb
„Unser Dorf soll schöner werden – Unser Dorf hat Zukunft“ belegte Blankensee
im Jahr 1995 den zweiten Platz. 2008 wurde Blankensee als schönstes Dorf im
Landkreis Teltow-Fläming ausgezeichnet.
Trebbin ist eine
amtsfreie Stadt im Landkreis Teltow-Fläming, als ehemaliger Wohnort des
„märkischen Eulenspiegels“ Hans Clauert (1506-1566) trägt sie den inoffiziellen
Beinamen „Clauertstadt“. Aktuell leben
hier gut 9500 Menschen.
Hin und weg
Vom Potsdamer Hauptbahnhof nimmt man den RE 1 bis zum Berliner Hauptbahnhof.
Dort steigt man in den RE 3 Richtung Falkenberg um und steigt nach einer knappen halben Stunde am Bahnhof Trebbin aus.
Wanderung durch Rheinsberg Die Stadt ist nicht nur von Fontane, sondern auch von Kurt Tucholsky geprägt. Wer ist dort heute populärer?
Wenn sie zwei Rapper wären, könnte man von „Battle“ sprechen, von einer Schlacht – so nennen das die Jungs mit ihren Klunkern um den Hals und ihren Hosen, die frisch durchschossen wirken. Die Hosen von Fontane und Tucholsky aber waren unauffällig, die Herren trugen keine Goldketten mit Dollarzeichen.
Wir
reden deshalb nicht von einer Schlacht, sondern vom Wettbewerb der Dichter.
Denn in Rheinsberg muss man sich entscheiden: Wer ist der Platzhirsch?
Beide
haben diesen Ort geprägt, und wenn man sucht, dann findet man bei Kurt
Tucholsky wirklich Ansätze von einem Rheinsberg-Rap: „Mädchen, was zieht ihr
mit Ketten schwer beladen einher? – Schüttelt sie ab. Sie sind leicht! – Sie
sind hohl! – Tanzt, tanzt!“
So ähnlich klingt das auch bei aggressiven jungen Sängern mit kaputten Jeans. Leider sagen sie nicht „Mädchen“, sondern „Bitch“, was so viel heißt wie „Miststück“. Das schien Tucholsky unmanierlich, als er vom Mädchen Claire in der Erzählung „Rheinsberg – Ein Bilderbuch für Verliebte“ schrieb.
Claire war kein Girl in Hotpants, sondern eine Medizinstudentin, beides schloss sich seinerzeit noch aus. Aber Claire trat sehr entschieden für die freie Liebe ein. Was 1912, als das „Bilderbuch“ erschien, noch so verwegen klang wie heute eben Miststück, Bitch und wirklich enge, knappe Hosen.
Es
ist thematisch nicht ganz leicht, nun zu Fontane abzubiegen, um den es halt in
diesem Jahr mit Nachdruck geht, weil er vor 200 Jahren geboren wurde.
Als
Tucholskys Rheinsberg-Buch erschien, war Theodor Fontane seit 14 Jahren tot.
Erst seit 14 Jahren, muss man sagen – denn zwischen dem Sound der beiden
Dichter liegt ein Epochenbruch, fein geschieden vom Fin de siècle um 1900.
Fontane kämpfte noch mit bürgerlicher Klinge, sonst hätte ihm wohl keiner zugehört. Er hatte junge Frauen in die Romane geschleust, Effi, Melusine, Lene, Corinna, und ließ sie vom freien Leben träumen. Das ist die Vorstufe der freien Liebe. Als Fontane nach Rheinsberg fuhr, gab es keine Zuganbindung, die erste Bahn hielt dort erst 1899, ein Jahr nach seinem Tod.
Er
schrieb in den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“:
„Rheinsberg
von Berlin aus zu erreichen ist nicht leicht. Die Eisenbahn zieht sich auf
sechs Meilen Entfernung daran vorüber und nur eine geschickt zu benutzende
Verbindung von Hauderer und Fahrpost führt schließlich an das ersehnte Ziel.
Dies mag es erklären, warum ein Punkt ziemlich unbesucht bleibt, dessen
Naturschönheiten nicht verächtlich und dessen historische Erinnerungen ernstes
Ranges sind.“
Unbesucht? Das ist vorbei im Jahr 2019. Menschen mit Hunden, mit Kindern und immer einem klugen Reiseführer in der Hand laufen ums Schloss wie um den Gral, als sei das eine Filmkulisse aus „Game of Thrones“.
Auch
Fontane war hingerissen:
„Wir
passieren den Schlosshof, steigen in ein bereitliegendes Boot und fahren bis
mitten auf den See hinaus. Nun erst machen wir kehrt und haben ein Bild von
nicht gewöhnlicher Schönheit vor uns.
Erst der glatte Wasserspiegel, an seinem
Ufer ein Kranz von Schilf und Nymphäen, dahinter ansteigend ein frischer
Gartenrasen und endlich das Schloss selbst, die Fernsicht schließend;
Wohin wir
blicken, ein Reichtum an Wasser und Wald, die Bäume nur manchmal gelichtet, um
uns irgendein Denkmal auf den stillen Grasplätzen des Parks, oder eine
Marmorfigur oder einen ,Tempel’ zu zeigen.“
So üppig ist die Pracht ums Schloss von Rheinsberg, dass man vor Ehrfurcht flüstern möchte – was Gott sei Dank verhindert wird von durchdringenden Stimmen, rechts und links. Nein, keine Rapper: Die Kammeroper probt vorm Kavaliershaus und hinten im Park. Nirgendwo ein Fluch, nirgendwo ein „Bitch!“.
Schon gar nicht in „Martha“, die man durch die Hecken hört. Vor Martha muss sich niemand fürchten, sagt Holger Potocki, der es wissen muss, weil er als Regisseur die Oper von Friedrich von Flotow nach Rheisberg holt, die 1847 uraufgeführt wurde.
Er steht im Heckentheater, das sich wie ein Labyrinth auffächert, in dem man sich sehr gern verlaufen würde. Die Probe ist vorbei, er spricht über Akustik, die unter freiem Himmel immer heikel ist, deshalb nehmen sie hier kleine Mikrofone.
Und er redet über diese Bühne, die nicht einfach, aber „interessant“, weil historisch sei. Potocki erzählt, wie „das Kunstlicht zu greifen beginnt, wenn es dunkel wird“, und die Leute einen Prosecco in der Hand halten. Das alles verbinde große Kunst mit großem Genuss.
Schließlich kommt er auf „Martha“, als sei sie ein Problemfall. Denn er musste sie „entzopfen“, so nennt er es. Ähnliches könnte man auch von Fontane sagen, der 28 Jahre alt gewesen ist, als „Martha“ erschien. Auch Fontane muss man mittlerweile etwas tunen, wie das bei Autos heißt, man muss ihn frisieren, ihn mit kühnen Thesen ins Heute holen, sonst bleibt er allenfalls ein Star für Germanisten.
Potocki hatte „Martha“ während der 90er-Jahre an der Deutschen Oper in Berlin gesehen und spürte, wie viel Staub auf ihrer Sprache lag. Doch der Inhalt, eine zeitlose Liebesgeschichte, schien dynamisch. An diesem Punkt setzt er nun an. Er pustet. Legt die Substanz frei – und beatmet das Stück, das am 9. August Premiere in Rheinsberg hat.
Eben diese Operation hat er auch bei Fontane vorgenommen. Seine Erinnerungen aus der Schulzeit: eher blutleer. Später las er „Jenny Treibel“, auch das hat nur bedingt gezündet. Doch im Auto hat er neulich zwei Sendungen gehört, die ihn mit diesem Mann versöhnten. Weg vom Onkel im Ohrensessel, hin zu einem Bild des Dichters, das widerborstiger und interessanter schien.
Wenn man so will, fängt Potocki stellvertretend für uns alle damit an, die Energie des 19. Jahrhunderts freizulegen und ihre Kraft zu übersetzen. „Martha“ und Fontane zeigen sich in neuem Licht, wenn man sie draußen in den Hecken inszeniert oder auf märkischen Alleen im Autoradio hört.
Wir sprachen von der „Battle“, dem Wettbewerb der Dichter und der Rapper. Doch es gibt in Rheinsberg auch die Battle der Prinzen. Friedrich und Heinrich, zwei Brüder, die zumindest zeitweise auf Schloss Rheinsberg lebten. „Kronprinz Friedrich“ steht mit großer Inschrift als Statur vorm Schlosseingang. Elegant, jung, frei von Zweifeln. Fontane spürte beim Besuch in Rheinsberg, wie Friedrich als der Lenker galt und Heinrich als Maskottchen.
Das
gefiel Fontane nicht, er mäkelte:
„Wenn
man wieder ins Freie tritt, um, über den Schlosshof hin, dem Park und See
zuzuschreiten, so kann man die Frage nicht abwehren, wie kommt es, dass dieser
kluge, geistvolle Prinz Heinrich, dieser Feldherr sans peur et sans reproche,
dies von den nobelsten Empfindungen inspirierte Menschenherz, so wenig populär
geworden ist.
Man geh’ in eine Dorfschule und mache die Probe. Jedes
Tagelöhnerkind wird den Zieten, den Seydlitz, den ,Schwerin mit der Fahne’
kennen, aber der Herr Lehrer selbst wird nur stotternd zu sagen wissen, wer
denn eigentlich Prinz Heinrich gewesen ist.“
Fontane beklagt das Los der kleinen Brüder. Persönlich betraf es ihn nicht. Er hatte vier Geschwister, alle waren jünger als er. Doch vielleicht spricht er ein wenig von sich selbst, wenn er beklagt, man habe Prinz Heinrich (im Schloss hängt dieses Porträt von ihm) unterschätzt.
Auch
Fontane fühlte sich verkannt, das hat er gut verborgen, doch in den Briefen an
Mathilde von Rohr, seine mütterliche Freundin und Gönnerin, schrieb er 1877:
„Ich
habe mich redlich angestrengt und bin so fleißig gewesen wie wenige, aber es
hat nicht Glück und Segen auf meiner Arbeit geruht. Es geht mir mit meinem
Wesen, Charakter und gesellschaftlichen Auftreten wie mit meinen Büchern,
einige sind sehr davon eingenommen, doch die große, große Mehrheit lässt mich
im Stich.“
Die Zeit des Ruhms kurz vor dem Tod im Jahr 1898 stand noch bevor, als „Stine“, „Frau Jenny Treibel“, „Effi Briest“ und „Der Stechlin“ erschienen. Marcel Reich-Ranicki glaubte, es war „das größte, das aufregendste und zugleich tröstlichste Finale, das die Geschichte der Weltliteratur kennt.“
Warum
sie ihn zunächst nicht angemessen würdigten? Angelika Gantikow weiß eine
Antwort, zumindest aus Rheinsberger Sicht: „Fontane war nicht so kritisch wie
Tucholsky, als er hier im Ort gewesen ist!“
Kritik verbinde, wenn sie
konstruktiv sei. Tucholsky habe von wilder Ehe und kleinbürgerlichem
Naserümpfen in Rheinsberg erzählt, Fontane vor allem von den Preußenkönigen.
Fragen der Liebe gehen tiefer als Fragen der Politik.
Ja, Gantikow ist parteiisch, mit gutem Recht, denn sie arbeitet im Rheinsberger Tucholsky-Museum, „dem einzigen in Deutschland.“ Und natürlich kommen immer noch Verliebte nach Rheinsberg, wegen Claire, wegen Tucholskys „Bilderbuch“, das weiterhin ein gutes Argument sei, in diesen Ort zu fahren, sagt sie.
Frau Gantikow führt nun hinüber zum „Archivschaufenster“ des Museums, dort sieht man drei originale handschriftliche Briefe Fontanes an den Magistrat der Stadt Rheinsberger und den Bürgermeister aus dem Jahr 1883.
Damals hatte der Magistrat beim Autoren angefragt, der in Berlin lebte, ob er ins „Denkmal-Komitée“ für das zu errichtende Kronprinzendenkmal vor dem Schloss eintreten würde. Fontane lehnte dankend ab, bot aber an, er könne schriftlich mitarbeiten. Doch das war nicht möglich.
Längst steht das heldenhafte Friedrichdenkmal vor dem Schloss, gleich gegenüber liegt der Ratskeller, der ein Fontane-Menü anbietet.
Es reicht von Märkischer Hühnerbouillon mit feinen Gemüsestreifen über Altbrandenburgischen Rinderschmorbraten bis hin zum Schokoladen-Kirschparfait mit einem Vanille-Spiegel für zusammen 22,90 Euro.
Der
„Ratskeller“ steht in Fontanes Schuld, denn der Schriftsteller hat ihn in
seinen „Wanderungen“ empfohlen – „zwar ist er überhaupt kein Keller, sondern
ein Fachwerkhaus“, und das in bester Lage:
„Wer
nämlich um die Sommerszeit hier vorfährt, pflegt nicht unterm Dach des Hauses,
sondern unter dem Dach prächtiger Kastanien abzusteigen. (...) Hier macht man
sich’s bequem und hat einen Kuppelbau zu Häupten, der alsbald die Gewölbe des
besten Kellers vergessen macht.“
Diese Visitenkarte gilt noch immer, und wer sich hier bei Hühnerbouillon, Schmorbraten und Schokoladenparfait stärkt, kann zur finalen Antwort schreiten, die sicher sinnlos ist, doch nicht ganz frei von Reiz: Wer verkauft in Rheinsberg im Jahr 2019 mehr Bücher, Fontane oder Tucholsky?
Am präzisesten kann hier Frank Förster Auskunft geben, seine Kurt-Tucholsky-Buchhandlung liegt an der Schlossstraße, einen Steinwurf neben dem Ratskeller. Gerade rät er einem Paar, sich gut zu überlegen, ob es wirklich um den ganzen See am Schloss spazieren will, „der zieht sich irgendwann.“
Förster sagt, er musste älter werden, um Fontane zu verstehen und zu schätzen. „Das dauert, Fontane ist nichts für Stürmer und Dränger.“ Er zieht ein Buch aus dem Regal, „kam gerade heute“, die Geschichte vom Birnbaum als hochwertiger Comic. „Es gibt nichts, was die Verlage mit Blick auf Fontane unversucht lassen“, in diesem Jahr würden sich die Bücher überschlagen.
Er
schaut in ein Fontane-Aphorismus-Buch, „etwas Gutes kann immer zweimal gesagt
werden“, liest er. „Präzise formuliert – würde ich auch gerne können.“ Er lacht. Und wird dann ernst, weil Fontanes Klage über die schlechte Zuganbindung immer
noch gilt:
„Es gab eine Bahn zwischen Neuruppin und Rheinsberg, viele Schüler
mit Fahrrädern haben das genutzt. Doch inzwischen fahren nur noch Busse, weil
die dem Kreis gehören. Der verdient daran – es fehlt der politische Wille, die
Bahn wieder zu stärken.“
Aber
jetzt zur Lösung, wer verkauft 2019 mehr Bücher in Rheinsberg? „Tucholsky geht
hier immer gut. Aber in diesem Jahr, alles in allem, liegt Fontane vorne.“
Frank Förster lächelt, er weiß, es wäre unsensibel, hier von Sieg zu sprechen.
Beide Autoren, die erst Journalist waren und dann als Schriftsteller Erfolge
feierten, sind in Rheinsberg zu Hause. Warum sollte man sich entscheiden? Wer
klug ist, nimmt sie beide, wie damals bei den Beatles und den Stones.
Fünf Fakten über Rheinsberg
Rheinsberg ist eine Stadt im Landkreis Ostprignitz-Ruppin. Sie gehört zu den nach Fläche größten Gemeinden Deutschlands. Derzeit leben 8100 Menschen in der Stadt.
Literarisch bekannt wurde Rheinsberg durch das Buch „Rheinsberg – Ein Bilderbuch für Verliebte“ von Kurt Tucholsky und durch die Erwähnung in den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ von Theodor Fontane.
Das Schloss Rheinsberg liegt am Grienericksee, gilt als Musterbeispiel des sogenannten Friderizianischen Rokokos und diente auch als Vorbild für Schloss Sanssouci.
Wo sich heute das Schloss Rheinsberg befindet, stand im Mittelalter eine Wasserburg. Die von Bredows ließen dort 1566 ein Wasserschloss erbauen, das im Dreißigjährigen Krieg stark beschädigt wurde. König Friedrich II. ließ es umbauen und das eingeschossige Haus um eine obere Etage ergänzen. Friedrich bezeichnete die Rheinsberger Jahre später als „die glücklichsten“ seines Lebens.
Hin und weg
Vom Potsdamer Hauptbahnhof nimmt man die Regionalbahn RB 20 Richtung Oranienburg bis Hennigsdorf (Oberhavel) und steigt dort in den RE 6 Richtung Wittstock (Dosse) um. In Neuruppin (Bhf Rheinsberger Tor) erfolgt dann der zweite Umstieg in die Buslinie 764 bis zum Rheinsberger Schloss.
Wanderung von Lindow nach Meseberg Von einem Kloster in Ostprignitz-Ruppin zu einem Schloss in Oberhavel
Ihre Mahnung hat gefruchtet. Seine zwei größten Romane „Effi Briest“ (nach Zeitschriftenabdruck als Buch 1896 veröffentlicht) und „Der Stechlin“ (1899) über den Großen Stechlinsee (Foto) sind um sein Todesjahr 1898 herum erschienen. Auf den letzten Metern.
Wer von Lindow (Ostprignitz-Ruppin) nach Meseberg (Oberhavel) wandert, braucht mehr als ein paar Meter, doch er durchmisst gedanklich beide Bücher. Denn im „Stechlin“ hat Fontane ein „Kloster Wutz“ als konservatives Zentrum geschaffen, nach dem Vorbild des realen Klosters Lindow (Foto), das am Wutzsee liegt, den Fontane gerne „Klostersee“ nannte.
In Meseberg hingegen hat er vom Paar Ardenne gehört, deren tragisch scheiternde Ehe er als Vorbild für „Effi Briest“ genommen hat.
Knapp neun Kilometer läuft man von einem Ort zum anderen. Fontane hat diese Strecke in seinen „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ wortlos übergangen. Er schaute auf die Kunst des Regierens, nicht auf die Ringelnattern, die durch den Wald schleichen.
Er sprach vom „villenartigen Haus der Domina“, das dem Kloster zur Seite stand, doch er hatte kein Auge für die Mohnblumen am Rand des Huwenowsees bei Meseberg, die gleich umgesenst werden von den Jungs, wenn sie vom hohen Ast ins Wasser springen und wie die jungen Hunde ans Ufer keuchen.
Als Fontane kein junger Hund mehr wahr, sondern der Gentleman im Maßanzug, dem man die Jahreszeiten und Gefühle nicht mehr ansah, entstand das Bild, das sich die Nachwelt von ihm machte – auch in Lindows Touristeninfo hat es seinen Platz. Hüfthoch steht die gelbe Statur des Dichters in der Ecke, wie eine aufgepumpte Schachfigur.
„Meist stellen wir ihn draußen vor die Tür“, sagt Frau Steffen von der
Info, „doch bei über 30 Grad ist es zu heiß für ihn. Man muss Diskretion
wahren, er wird als Jubilar ja derzeit so gerupft. Nicht vergessen, er ist ein
älterer Mann!“ Die gläserne Info ist klimatisiert, hier lebt man angenehm bei
guten 20 Grad.
Das Wohltemperierte war oft Fontanes Sache. Wenn es zu heiß geworden ist in seinen Büchern, bei „Effi“ beispielsweise, die sich in einen fremden Mann verliebte, der in ihre Ehe funkte, musste die Sache runtergekühlt werden. Bis Effi starb.
„Lindow ist so reizend wie sein Name. Zwischen zwei Seen wächst es auf und
alte Linden nehmen es unter ihren Schatten.“
So beschrieb
Fontane es in seinen „Wanderungen“. So ein Ort, möchte man meinen, brummt auch
ohne klimatisiertes Touristenbüro.
Man müsste einfach Fontanes Gedicht ans Ortsschild kleben:
„Wie seh ich, Klostersee, dich gern! / Die alten Eichen stehn von fern, /
Und flüstern, nickend, mit den Wellen. / Und Gräberreihen auf und ab; / Des
Sommerabends süße Ruh / Umschwebt die halbzerfallnen Grüfte.“
Etwas Morbides liegt in diesen Zeilen, das leider auch im Sommer 2019 nicht komplett an Gültigkeit verloren hat. Denn dass ausgerechnet die alte Apotheke und die Buchhandlung gestorben sind, die einst in herrlichen Häusern lebten, ist tragisch – weil sie das Leben des gelernten Apothekers und Schriftstellers so schön umrissen haben.
Ganz geheuer war ihm Lindows Schönheit nicht. Fontane hat sie
eingeschränkt:
„Die nur durch ihre Lage reizende Stadt kann uns durch ihre Straßen und
Plätze nicht fesseln."
„Aber jenseits derselben, wo sich die Schmalung zwischen dem Gudelack- und dem Wutz-See wieder zu weiten beginnt, werden wir, nach rechts hin, eines Konglomerates von Häusern und Ruinen ansichtig, um welches sich eine niedrige Steinwallung: die Einfriedung von Kloster Lindow, zieht.“
Ein Mann mit kleinem Hund an seiner Leine und Zigaretten in der Brusttasche zeigt rüber zur Mauer, die früher das Kirchenschiff des Klosters einfasste. „Geh’n Se mal gucken, mehr is’ nich übrig. Könne Se Fotos machen.“ Die Fassade ist kaum mehr als ein Geste, die auf eine gut ausgestattete, lange zurückliegende Zeit verweist.
Fontane schrieb darüber, wie im Jahr 1542 die Säkularisierung und die
Umwandlung der Klostergüter in „kurfürstliche Domainen“ begonnen hatte:
„Zwanzig Jahre vorher, beim Erlöschen des gräflichen Hauses Ruppin, hatte
das Kloster auf seiner Höhe gestanden. Es war damals eines der reichsten
Stifter in der Mark und besaß außer der Stadt Lindow 18 Dörfer, 20 wüst
liegende Feldmarken, 9 Wassermühlen.“
Eine Ordensschwester stach heraus, Amelie, „die schöne Nonne von Lindow“, die als Skulptur vom Bildhauer Peter M. Stajkoski vor gut zehn Jahren in den Wutzsee gestellt wurde. Wegen der Beziehung des adligen Mädchens zu einem nicht standesgemäßen Jüngling wurde Amelie von ihren Eltern ins Lindower Kloster verbannt.
„Der Geliebte befreite sie jedoch. Sie entschwand auf unbekanntem Wege...“, steht neben ihr auf einem Schild. Auch bei Fontane wurden junge Frauen kaserniert, wenn sie das Glück zu eigensinnig suchten. Doch sie wurden nicht befreit, und der Autor konnte haargenau erklären, woran sie scheiterten. „Unbekannte Wege“, das war ihm viel zu nebulös.
Der Mann mit Hund erzählt vom Lindow aus der Gegenwart, dass es hier nur noch „Bäcker, den Vietnamesen und Netto“ gibt. „Zweimal in der Woche kommt der Fleischerwagen in den Ort, dann stehen die Leute Schlange.“ Der alte Bahnhof Lindow, sagt er, „ist verkauft, doch der Investor kümmert sich nicht ums Gebäude, es geht kaputt.“
Aber der See! „Sie können zweieinhalb Stunden um den Wutzsee laufen, vollkommene Ruhe“, sagt der Mann. Der Hund zuckt. Zweieinhalb Stunden? Er hechelt. Und geht jetzt mit dem Herrchen auf den Klosterfriedhof, der immerzu im Schatten liegt.
Der Weg hinüber nach Meseberg ist ein Fußmarsch von knappen drei Stunden. Er ist so malerisch, dass es wie ein Wunder wirkt, hier unterwegs nur ein Paar zu treffen, das seine Räder schiebt.
An einem Strand des Huwenowsees, wo der Streusand wie ein Teppich liegt, sonnen sich zwei junge Frauen im Bikini – sie sind derart alleine, dass sie einen großen, zotteligen Wachhund mitgenommen haben. Und in Berlin zerdrücken sich die Leute im Freibad.
Erste Zeichen der Zivilisation in Rufweite von Meseberg: Typischer Knall einer Arschbombe, wie diese Sportart bei den Jungen heißt, die sich ins Wasser schmeißen, um maximalen Aufruhr zu erzeugen.
Und hinten, im Stil einer Fototapete, ruht Schloss Meseberg.
Diesem Ort hat sich der Autor wie ein beeindruckter Pfadfinder
genähert:
„Wie ein Zauberschloss liegt es auch heute noch da. Der Reisende, der hier
über das benachbarte Plateau hinfährt, dessen öde Fläche nur dann und wann ein
Kirchturm oder ein Birkengehölz unterbricht, ahnt nichts von der verschwiegenen
Tiefe mit Wald und Schloss und See. Dieser letztere, der Huwenowsee geheißen,
ist eines jener vielen Wasserbecken, die sich zwischen dem Ruppinischen und dem
Mecklenburgischen hinziehen und diesem Landstriche seine Schönheit und seinen
Charakter geben.“
Die Schönheit des Schlosses Meseberg ist staatstragend, es dienst als Gästehaus der Bundesregierung. Darum ist es massiv abgesperrt, einmal im Jahr gibt es den Tag der offenen Tür, dann kommen gut 3000 Leute in diesen Ort mit etwa 170 Einwohnern. Und was passiert sonst im Schloss?
Das eben ist die Frage, die in diesen Tagen auch im Bundestag diskutiert wird. Eine aktuelle Studie sagt, dass Schloss Meseberg an nur 32 von 1461 Tagen in den Jahren 2015 bis 2018 als Gästehaus, für Regierungsklausuren oder andere Veranstaltungen genutzt wurde. Es verursachte aber in diesem Zeitraum Kosten von 20 Millionen Euro. Nun wird in Berlin diskutiert, ob dieser Preis verhältnismäßig sei.
„Nein!“, brummt der Mann im weißen Unterhemd, der just vor diesem Schloss
wohnt, das er hinter dicken Gittern täglich sieht. Er weist den Hund zurecht
und kommt dann an die Hecke. „Ich habe sie alle gesehen, Bush, Sarkozy und den
Israeli“, dessen Name ihm nicht einfällt.
„Bei Bush war es am schlimmsten“, erzählt er über den Staatsbesuch im Jahr 2008, die ganze Presse und nur Wachleute vor seinem Haus – „ich verschwinde dann für ein paar Tage, das Dorf ist lahmgelegt, als sei es eine Parallelwelt.“
Hat er dafür Verständnis? „Ach, Verständnis...“ Er will den Puls jetzt runterfahren, sich nicht in Rage reden, tut es dann aber doch: „So viele Regierungsklausuren können die hier gar nicht abhalten, wie man bräuchte, um die Krise in den Griff zu kriegen.
Huberta von Böselager sieht das entspannter. Sie wohnt einen guten Steinwurf vorm Barockschloss und gießt die Rosen an ihrem Haus. „Ach, das Schloss!“, sagt sie, „wer möchte denn nicht in einem Dorf mit Schloss wohnen?“ Sie selbst lebt sei fünf Jahren hier, wenn auch nur im Sommer, denn im Winter muss sie zurück nach München.
Sie führt in Meseberg einen kleinen Laden, „der eigentlich eine Garage werden sollte, aber 100 Meter neben einem Schloss kann man keine Garage bauen, das wäre vollkommen verschenkt.“ Sie verkauft „Schnickschnack, Eis und Getränke“, wobei der „Schnickschnack nicht gut läuft in Brandenburg, das klappt in Bayern besser.“
Halsketten, Honigmilchseife und kleine Vögel aus Holz zählen zu ihrem Sortiment, doch das Geld macht sie mit Cola, Wasser und Melonen-Eis. Zusammen machen diese Erfrischungen für Rad-Touristen vier Euro.
„Als Putin ins Schloss kam, haben sie sogar das Dixi-Klo im Dorf versiegelt“, erzählt sie. Das Schloss gefällt ihr trotzdem, gerade wegen seiner kapriziösen Geschichte, die auch Fontane schon erzählt hat.
In den Worten von Frau Böselager klingt sie so: „Der Lover von Heinrich, dem Bruder Friedrichs des Großen, musste den Hof in Rheinsberg erlassen, weil Friedrich diese Liebelei zwischen den Männern nicht vor seinen Augen akzeptierte. Wohl auch deshalb, weil er ähnlich veranlagt war. Deshalb musste der Lover aufs Schloss Meseberg. Er galt als ,Heinrichs Favorit’ und trug den tollen Namen Major von Kaphengst. Ideal für einen Liebhaber!“ Sie lacht.
Auch Theodor Fontane hat in seinen „Wanderungen“, als er die Geschichte vom Schloss Meseberg erzählte, geradezu aufdringlich den windigen Major von Kaphengst in den Vordergrund gerückt.
Er übte an Stoffen wie diesen für
die Sottisen, die er später in seine Romane einbaute:
„Wenn von Kaphengsts Habsucht,
Wüstheit und Eitelkeit schon in Rheinsberg ihre Proben abgelegt hatten, so
verschwanden diese neben dem, was er jetzt in Schloss Meseberg in Szene setzte.
Debauchen aller Art lösten sich untereinander ab, und die wahnsinnigste
Verschwendungssucht griff Platz.“
Huberta von Böselager nimmt die Geschichten mit Humor. Ihr Laden war früher ein Schweinestall, Prunksucht kann ihr keiner vorwerfen. Sie schwärmt von ihren Nachbarn, alle hätten sie herzlich empfangen. „Wenn sie in ihren Gärten buddeln, holen sie immer etwas Köstliches aus der Erde.“
Und falls Putin, ein hoher Amerikaner oder Franzose noch mal vorbeischauen, halten sie für ein, zwei Tage die Luft an. So schlimm wie bei Major zu Kaphengst wird es schon nicht werden.
Fünf Fakten über Lindow und Meseberg
Lindow (3000 Einwohner) ist eine Stadt im Landkreis Ostprignitz-Ruppin, sie liegt im
Naturpark Stechlin-Ruppiner Land und ist von drei Seen umgeben: Wutzsee, Gudelacksee und Vielitzsee.
Nach der Wende 1989 zog sich
das ehemalige DDR-Staatsoberhaupt Erich Honecker für einige Tage in ein
Regierungsheim in der Nähe der Stadt zurück, bis ihn Bürgerproteste zum Auszug
zwangen.
Im
13. Jahrhundert wurde Lindow Sitz des Klosters Lindow, eines
Nonnenklosters der Zisterzienserinnen oder Prämonstratenserinnen. Dies lässt
sich nicht mit Sicherheit feststellen, da die Akten in der Reformationszeit
untergegangen sind.
Meseberg ist ein
Ortsteil von Gransee (Oberhavel) mit 150 Einwohnern. Dort liegt Schloss
Meseberg, ein Barockschloss aus dem 18. Jahrhundert.
Das Anwesen
am östlichsten Zipfel des Huwenowsee
gehört der Messerschmitt-Stiftung, die es
ab 1995 restauriert hat. Es wird als Gästehaus der Bundesregierung genutzt.
Hin und weg
Vom Potsdamer Hauptbahnhof nimmt man die
Regionalbahn-Linie
RB 20 Richtung Oranienburg bis nach Hennigsdorf (35 Minuten Fahrzeit) und steigt dort in den Regional-Express RE 6 Richtung Wittstock (Dosse).
Am Bahnhof Rheinsberger Tor in Neuruppin (noch mal 35 Minuten Fahrzeit) ist Ausstieg - von hier fährt die Buslinie 764 (Richtung Rheinsberg) 25 Minuten bis zur Haltestelle Lindow Markt.
Teil 4: Wanderung durch Teupitz am See Die Geschichte vom verlorenen Schloss im Schenkenländchen
Der Zander ist die Leitwährung in der Stadt Teupitz am See - das war schon bei Fontane so.
Und wenn man in der frühlingskühlen Kirche steht mit Pfarrer Nico Steffen, wird diese These einmal mehr erhärtet. Steffen ist in Eile, Mittagszeit, er muss sich um die beiden Söhne kümmern, sie spielen Basketball vorm Pfarrhaus.
Doch Steffen tischt noch eine kleine Anekdote auf, die ihm ein Koch erzählte, der nach der Wende seinen Dienst im Schloss von Teupitz angetreten hat.
„Das Schloss war vormals Gästehaus der SED gewesen, nach der Wende residierte dort das Schlosshotel“, erzählt Steffen, „Besuch aus Frankreich hatte dort gespeist, der Koch hat Zander zubereitet, die Franzosen waren aus dem Häuschen: DER Zander aus dem Teupitzsee?“ Sie kannten ihn aus Paris, „wo er einen legendären Ruf genießt.“
Theodor Fontane hat Teupitz (heutiger Landkreis: Dahme-Spreewald) im Juni
1862 mit der Postkutsche besucht, dort sprach er mit der Wirtin Friederike
Wilhelmine Bullrich aus dem Gasthaus „Goldener Stern“, sie hatte ihm den
wirtschaftlichen Segen und Eigensinn des Zanders erläutert:
„Der Zanderzug ist nur einmal
im Jahr und von seinem Ausfall hängt alles ab. In der Regel bringt er 600, oft
1500 Taler, mitunter freilich auch gar nichts. Dann muss das nächste Jahr den
Schaden decken. Aber weil es unsicher ist, was der Zanderzug bringen wird,
deshalb können unsere Fischer den See nicht pachten.“
Der See war immer die Fundgrube der Stadt, Fontane hat ihn in den
„Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ vermessen:
„Der
Teupitzsee ist fast eine Meile lang und eine Viertelmeile breit, an einigen
Stellen, die sich buchten, auch breiter. Sein Wasser ist hellgrün, frisch und
leichtflüssig; Hügel mit Feldern und Hecken fassen ihn ein, und außer der
schmalen Halbinsel, die das Schloss trägt und sich bis tief in den See hinein
erstreckt, schwimmen große und kleine Inseln auf der schönen Wasserfläche
umher.“
Blumiger kann auch ein Tourismusamt nicht formulieren, und dennoch führen
Fontanes Elogen in die falsche Richtung. Denn der Dichter schaute nicht wegen
der reizenden Landschaft vorbei:
„Teupitz
verlohnt eine Nachtreise, wiewohl diese Hauptstadt des ,Schenkenländchens’
nicht das mehr ist, als was sie mir geschildert worden war. All diese
Schilderungen galten seiner Armut. Die ,Poesie der Verfalls’ liegt über dieser
Stadt, so hieß es voll dichterischen Ausdrucks.“
Fontane hatte gehört, dass ein Geistlicher in Teupitz unverheiratet blieb,
weil der Lohn nicht reiche für die Gründung einer Familie, und dass ein
Teupitzer „Bettelkind“, wenn es ein Stück Brot bekomme, die Hälfte mit nach
Hause nehme, weil Brot so rar sei. Zudem bestehe das gesamte Personal der
„Gesundheitspflege“ im Ort aus einer einzigen Hebamme. Fontane schloss:
„Dies und manches der Art rief eine
Sehnsucht in mir wach, Teupitz zu sehen, das Ideal der Armut.“
Pfarrer Steffen sieht das anders: „Geistliche werden heute besser bezahlt,
der Tarif lässt sich mit dem Familienleben vereinbaren.“ Geboren wurde er in
Zeuthen, arbeitete zuletzt in einer Gemeinde in Berlin-Spandau, doch mit seiner
Frau habe er entschieden, die Arbeit in einer ländlichen Kirche anzutreten.
550 Gemeindemitglieder gibt es in dieser Stadt mit ihren knapp 2000 Einwohnern, „das ist keine schlechte Quote für Ostdeutschland“. Sonntags kommen zehn bis 30 Besucher in die Kirche, an Feiertagen sind es mehr als 100. „Wir zählen in Teupitz zum Speckgürtel 2. Ordnung, weil wir außerhalb der S-Bahn liegen“, erzählt Steffen, der auch die Gemeinde in Groß Köris betreut.
Zwischen den Weltkriegen, als der Schienenstrang anders verlief und Teupitz besser angebunden war, gab es hier regen Badebetrieb. „Tourismus“ wurde ein Begriff, die Leute kamen mit dem Dampfer aus Köpenick, auch Fontane hat diesen Wasserweg gewählt – und Teupitz ein zweites Mal besucht, 1874 auf der Segeljacht „Sphinx“.
Wer von Groß Köris nach Teupitz läuft, sieht Villen aus den 20er-Jahren des
vergangenen Jahrhunderts, einer wohlhabenden Zeit am See, die nichts übrig ließ
von Fontanes Verdikt der Armut. „Doch die Kesselschlacht von Halbe am Ende des
Zweiten Weltkriegs hat diese Gegend nachhaltig verletzt“, sagt Steffen.
Auch heute gibt es Verletzungen. Das hinter grünen Hecken verborgene Schloss macht Sorgen. Dabei war es vor wenigen Jahren der Stolz der Stadt mit seinem international gerühmten Zander, der dort zubereitet wurde. Das Anwesen geht zurück auf eine Burg, die im frühen 14. Jahrhundert hochgezogen wurde, es verfiel, nach 1949 hat es die DDR zum Gutshauses umgebaut. Fontane schrieb:
„Das alte Teupitzschloss galt ehedem für sehr fest. Es lag an der Grenze zwischen Mark und Lausitz und scheint abwechselnd eine märkische oder sächsische Grenzfestung gewesen zu sein.“
Gerade schauen Liane und Steffen Hultsch aus Potsdam vorbei, sie sind auf der Durchreise nach Cottbus, wo sie den 75. Geburtstag des Mannes feiern wollen. Vor 15 Jahren haben sie im Schlosshotel übernachtet, „schöne, schlichte Zimmer, kein unnötiger Klimbim“, erinnert sich Liane Hultsch, sie schwärmt von den Ritterspielen und dem Mittelaltermarkt im Hof.
Nun steht das Paar am Tor des Schlosses, es ist verriegelt, Schilder schlagen in die Flucht, als liege ein Atomkraftwerk hinter dem Zaun: „Parken verboten!“, „Warnung vor dem Hund!“, „Zutritt verboten!“.
Nach der Insolvenz des Hotelbetreibers wurde das Schloss zwangsversteigert, seit 2005 befindet es sich in privater Hand. Doch keiner kennt diese Hand. In der Stadt spricht man vom „verlorenen Schloss“. Meist steht es leer.
Es gibt Klatsch im Ort, aber kaum Fakten. Was man redet? Der Eigentümer des Schlosses (hier eine Lithografie aus der Sammlung Alexander Duncker, 19. Jahrhundert) komme aus Österreich. Oder aus Bayern. Er sammele Schlösser, ihm gehöre auch das Dracula-Schloss im nahen Schenkendorf, doch er schaue selten vorbei in Teupitz – nur zum Tennisspielen. Er soll in Spanien wohnen, heißt es.
Auch der Teupitzer Bürgermeister Dirk Schierhorn vom Bürgernetzwerk sagt: „Wir sind bereit, mit ihm zu reden, aber man kommt schwer an ihn heran.“ Worüber man diskutieren will? Über eine Teilöffnung fürs Publikum. Wenigstens das. Doch die liegt in weiter Ferne.
Eine, die das nicht hinnimmt, ist Susanne Stahn, Schierhorns Gegenspielerin. Bei der Kommunalwahl am vergangenen Sonntag trat sie gegen ihn an, als Kandidatin fürs Teupitzer Bürgermeisteramt. Und lag nur 6,6 Prozentpunkte hinter ihm.
Sie ist Diplominformatikerin und Einzelkämpferin, ohne Netzwerk und Partei, doch mit ausgeprägter Gabe zur Kommunikation. Wenn man auf dem Markt ein Foto macht, kommt sie vorbei und ruft: „Schön hier, oder?“ Schon steckt man im Gespräch, neben ihr die große Hündin, „meine beste Wahlkampfhelferin“. Sie lacht.
„Der Investor sagt, er liebe das Schloss und würde es auch dann nicht verkaufen, wenn man ihm eine Million mehr biete, als er bezahlt hat.“ Stahn setzt eine Pause.
„Was ist Liebe?“, fragt sie. „Wenn man eine Frau liebt, möchte man, dass sie ein erfülltes Leben führt – doch dieses Schloss steht leer, es ist ein Luxus-Spielzeug, das keinen glücklich macht.
Der Investor lässt es verfallen. Er raubt uns die Möglichkeit, im Ort Tourismus aufzubauen.“ Ihr Fazit: „Eigentum verpflichtet!“
Diesen Satz hört man oft, wenn man auf dem Marktplatz in Teupitz mit Menschen spricht. Erst hat ihnen die SED den Eintritt in das Schloss verwehrt, nun tut es ein Mann, den keiner kennt und dem nicht beikommen ist, weil das Gesetz sein Eigentum schützt.
Susanne Stahn schaut in ihr Handy, um den Satz korrekt zu zitieren: „Ein reicher Mann ist oft nur ein armer Mann mit sehr viel Geld“, er stammt vom griechischen Reeder Aristoteles Onassis. Für Stahn bringt er die Sache auf den Punkt.
Sie hatte vor der Wahl nur ein einziges Plakat von sich im Ort aufgehängt, am Marktplatz, sie sagt, sie wolle an die „reichen Männer, die es hier durchaus gibt“, appellieren, dass es eine Ehre sei, in das malerische Bild der Stadt zu investieren. Mit den Eigentümern der Häuser in der grauen Poststraße stehe sie im Austausch.
Sie schaut sich um. „Wo ist der kleine Lebensmittelladen, wo ist die Sparkasse oder wenigstens ein Geldautomat, wo ist eine Post?“, fragt sie. Sie sind verschwunden in den letzten Jahren.
„Die Leute in Teupitz sind politikmüde, doch ich werde nicht als
Politikerin wahrgenommen. Mein Großvater war hier LPG-Vorsitzender, man kannte
mich im Ort bereits als kleines Mädchen.“ Auf ihrer Visitenkarte steht
„Software – Beratung – Schulung.“ Sie ist viel in den alten Bundesländern
unterwegs, „dort sehe ich, wie es in Teupitz funktionieren könnte.“
Wer vor der Wahl vom Bahnhof Groß Köris nach Teupitz lief, sah die Plakate. Je näher man Teupitz kam, desto augenfälliger war die soziale Note. „Lieber Kümmern als Wegsehen“ oder „Mieten dürfen nicht durch die Decke gehen“. Als habe man in der Stadt ein besonderes Sensorium für die soziale Balance. Fontane hat das seinerzeit geahnt.
Ein Gefühl fürs aktuelle Teupitz kriegt man in der alten Schule, wo Christine Borleis und ihr Mann leben. Der Mann ist beim Arzt, auf dem Land kann sowas dauern. Frau Borleis schaut aus wachen Augen – und dennoch urteilt sie mit Vorsicht über diese Stadt. „Wir sind erst 1994 hergezogen“, sagt sie, das sind 25 Jahre, die volle Spanne einer Generation. Doch als Einheimischer gelte man erst, wenn auch Mutter und Großmutter hier geboren wurden.
„Wir sind ein mutiger Ort“, sagt Borleis, „wir lassen unsere Kirche offen. Es gibt hier keine Schätze, was soll schon passieren?“ Sie sitzt im alten Klassenzimmer, umgeben von Trompete, Posaune, Klavier und Schlagzeug. Ihr Mann ist Kirchenmusiker, er organisiert Konzerte.
Am Vortag war die „Klangvolle Auslese“ mit dem Schmöckwitzer Kammerorchester sehr gut besucht, es gab Werke von Reger, Haydn, Fasch, Graininger und Respighi. Es wäre ein Trugschluss zu glauben, dass in einem kleinen Ort wie Teupitz nur das Gefällige zum Zuge kommt. Auch Komponisten ohne großen Namen werden hier hofiert. Durch den Kinder- und Jugendchor ihres Mannes bleibt die Gemeinde jung. Und neugierig.
Ihre Kirche lassen sie auch deshalb offen, weil oben auf dem Gesenberg das Fachklinikum Teupitz liegt, das man früher „Landesirrenanstalt“ nannte. Die Nazis haben dort psychisch kranke Menschen ermordet. Die neue Klinik hat einen tadellosen Ruf, die Patienten freuen sich, wenn sie sich ins Kirchenschiff setzen können. Und Zeit für Einkehr haben.
Fontane nannte ihn noch „Jeesenberg“:
„Ein Hügel am Südrande der Stadt gelegen, von dem aus man das
gesamte Schenkenländchen überblickt. (...) Das Panorama ist schön; schöner aber
wird das Bild, wenn wir auf den Rundblick verzichten und uns damit begnügen, in
die nach Osten hin sich dehnende Hälfte der Landschaft hineinzublicken. Es ist
dies die Hälfte, wo Teupitz und sein See gelegen sind.“
So klingt eine Liebeserklärung auf Preußisch. Nicht prätentiös, niemals den Preis zu hoch treiben. Diese Gefahr besteht in Teupitz nicht, wo sie dem Reichtum an Fischen und Schönheit trauen, nur bedingt aber dem Reichtum an Geld.
Fünf Fakten über Teupitz
Teupitz ist die Hauptstadt des Amtes Schenkenländchen und gehört zum
Landkreis Dahme-Spreewald. Zur Stadt gehören die Ortsteile Egsdorf, Neuendorf
und Tornow.
Nach neuesten Erhebungen lebten 2018 in Teupitz 1880
Menschen, im Jahr 1990 waren es 1652.
Teupitz entstand als slawische Siedlung. Ab 1437 ist von Teupitz
als Stadt die Rede und sie erhielt ein Wappen mit einem Fisch und einem Kreuz, das von Wasserlilien eingerahmt wird.
Auf der Schlosshalbinsel am Teupitzer See wurde 1307 erstmals eine Burg erwähnt.
Im 15. bzw. 17. Jahrhundert baute die Familie Schenk von Landsberg sie zum Schloss um.
Die Stadt erlebte um 1900 einen wirtschaftlichen Aufschwung durch Tourismus, der um 1895 durch Berliner Fahrgastschiffe und Rudervereine
befördert wurde. Der Ausflugsverkehr nach Teupitz wurde ab 1900 bis zum Ersten Weltkrieg regelmäßig angeboten.
Hin und weg
Vom Potsdamer Hauptbahnhof nimmt man die S7 bis nach Berlin-Lichtenberg und steigt dort in die Regionalbahn-Linie RB 24 Richtung Senftenberg um, die auch in Königs Wusterhausen hält.
Der nächstgelegene Bahnhof zum Ziel ist Groß Köris, von Berlin bis hierher braucht die RB24 knapp 40 Minuten. Von Groß Köris sind es noch zehn Minuten mit der Buslinie 726 (Richtung Bestensee) bis Teupitz Markt.
Vom Hafen von Teupitz aus kann man eine Entdeckungsreise über die Dahme-Seen starten.
Start und Ziel der Tagesfahrten mit der "Schenkenland" ist der Anlegesteg Bohr's Brücke. Zum Dahme-Seengebiet zählen mehr als 70 Seen und knapp 100 Kilometer Wasserstraßen im Dreieck Berlin-Schmöckwitz.
Teil 3: Wanderung durch Plaue Unterwegs in Brandenburg an der Havel - Zu Schloss Plaue und Wiesikes Grabstätte
Ole fährt mit Helm, denn das hier ist der Schlosspark, dort steht nicht nur das alte Grab der ausgesprochen schlanken und versunkenen Prinzessin zu Schoenaich-Carolath, spätere Gräfin von Königsmarck. Am Eingang streuen sie auf einem Schild gleich Klartext unters Volk: „Achtung, im Plauer Schlosspark leben frei laufende Wildschweine. Achten Sie auf Ihre Kinder.“
Oles Helm, schwarz und robust wie bei den Bergarbeitern untertage, ist so
gesehen wirklich nützlicher als eine Krone. Auf die Kinder soll man also achten... Ist Ole (r.) noch ein Kind?
Er hat die klare Stimme eines Fremdenführers,
wenn er mit seinem Fahrrad wie auf einem Pferd durch diesen Park prescht und
hinüber ruft zu Paul: „Ist das Fontane?“ Er nähert sich auf fünf Meter der Statur,
„ja, ist er!“ – er ähnelt einem Cowboy, der sein Lasso um den Dichter werfen
will.
Paul (r.) und Ole steigen ab. Sich verneigen vor dem Denkmal, nein, so weit geht die Liebe nicht, doch dem Mann begegnen sie mit einer Frische, ohne akademische Manschetten. Ole und Paul sind 13, sie gehen in die 7. Klasse, „wir haben Fontane in der Schule behandelt.“ Sagen es ernst wie ein Arzt, der bei „Behandeln“ eher an Medizin und Spritzen denkt.
Die Skulptur des wandernden Fontane, der sich versonnen an den Hut fasst, als müsse er sich orientieren, im welchem Breitengrad er sich befindet, wurde vom Förderverein Schloss Plaue gestiftet. Geschaffen hat sie der Plauer Bildhauer Dirk Harms.
„Den Birnbaum“ und „John Maynard“ haben sie gelesen, „Birnbaum war besser“, urteilt Paul, „Herr Ribbeck war nett zu den Kindern.“ John Maynard aber ist ertrunken. Im Test bekamen sie eine 2. Beide wohnen in Kirchmöser, doch der Ort alleine ist zu klein für Jungs von 13 Jahren, darum jagen sie durch Plaue.
Und wenn selbst das zu eng wird, flüchten sie sich in die Welt von Instagram, wo man die Fotos weltweit teilen kann. Paul hat 104 Follower. Ole, der ein bisschen lauter ist, hat gut 300. Er zeigt die jüngsten Bilder auf dem Handy: Bleistifte von oben, die aussehen wie Honigwaben, und die Speicherstadt von Hamburg. „Man muss die Follower täglich mit Bildern füttern, mindestens aber jede Woche, sonst laufen sie davon.“
Jungs, die über Fontane und Follower Bescheid wissen, sind ein Glück in diesen Tagen, in denen man glaubt, diese zwei Welten stünden sich fremd und unverträglich gegenüber.
Plaue ist ein Ortsteil von Brandenburg/Havel, Fontane hat hier häufig
seinen Freund Carl Ferdinand von Wiesike besucht, der auch hier begraben ist. Er
stammt aus der Linie derer, die in Plaue lange das Sagen hatten. In seinen
„Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ schreibt Theodor Fontane:
„Als ich Wiesike zum ersten Mal sah, war er sechsundsiebzig Jahre alt und
ein mehrtägiger Aufenthalt bot mir Gelegenheit, nicht bloß den alten Herrn in
Person, sondern auch seinen Besitz und seine Lebensgewohnheiten kennenzulernen.“
Die Wiesikes wurden nach dem Zweiten Weltkrieg enteignet. Ihre Villa liegt gegenüber vom Schloss Plaue, auf der anderen Havelseite. Man geht über die Alte Plauer Brücke, nur noch nutzbar für Fußgänger, an ihren Rändern stehen Bauzäune.
Sie wurde 1904 errichtet, sechs Jahre nach Fontanes Tod, als Stahlfachwerkbrücke ersetzte sie eine hölzerne Brücke, die 1837 vom Plauer Zimmermeister Parey gebaut wurde. Diese hatte im westlichen Drittel einen Zugmechanismus, der höheren Schiffen die Durchfahrt erlaubte. Heute wirkt selbst die neue, inzwischen 115 Jahre alte Brücke wie ein rüstiges Denkmal, und auch: wie ein eingerüstetes.
Auf der Schloss-Seite des Übergangs hat der Förderverein Schlosspark Plaue
das Fontane-Gedicht aus dem Januar 1880 über den „furchtbaren Eisenbahnunfall
bei Dundee“ in Schottland festgeschraubt. Es war die Zeit, in der Fontane
seinen Plauer Freund Carl Friedrich Wiesike zum letzten Mal besucht hat, in
dessen Todesjahr:
„Und unser Stolz ist unsre Brück; / Ich lache, denk ich an früher zurück, /
An all den Jammer und die Not / Mit dem elend alten Schifferboot.“
Vor Wiesikes Villa wird geschippt, im Dienste eines Neuanfangs. Wenn man
nachfragt, was mit dem Haus geschehen soll, das ramponiert davon erzählt, dass
sich Fontane und der Gefährte Wiesike hier über Homöopathie und über
Schopenhauers Pessimismus unterhalten haben, kriegt man im Ort nur anonyme
Statements.
„Fontane und Wiesike haben hier einen gesoffen, seither haben wir
den Denkmalschutz am Hals“, sagt einer mit exponiertem Amt in Plaue. Er lacht.
Das Haus erzählt viel von Geschichte, und gerade deshalb wollen viele Ämter reinregieren in die Restaurierung. „Gut, dass es letztes Jahr verkauft wurde, an einen Mann tief aus dem Westen. Umgänglich. Zielstrebig. Der macht die Villa wieder vorzeigbar. Kommen Sie nochmal im Herbst vorbei, dann gibt es eine Ahnung von der neuen Pracht“, mutmaßt die anonyme Stimme.
Wiesikes Villa stand leer seit Ende der 1990er-Jahre, die Fischereischutzgenossenschaft „Havel“ war nach der Wende eingezogen, hatte den Bau jedoch alsbald an einen Segelclub verpachtet. Irgendwann war dieser Villa und der unumgänglichen Sanierung keiner mehr gewachsen. Zu Zeiten des Mauerfalls lebten zwei Rentner in dem Haus, „die Mauern baufällig, die Hygiene abenteuerlich“, sagt der Mann, der sich hier auskennt.
Auch zu Fontanes Zeiten herrschte dort eine gewisse Hemdsärmeligkeit, ein
„Wird-schon-gehen“, angereichert mit dem Sinn fürs Machbare. Der Dichter
schreibt:
„Die Wiesikesche Villa war bei seinem Eintreffen an dieser Stelle nicht
besser als eine Lehmkate gewesen, die nur gerade den Ansprüchen eines Meiers
oder Wirtschaftsinspektors genügen konnte. Wiesike hatte demohngeachtet nicht viel
daran geändert und statt Umbauten vorzunehmen, sich darauf beschränkt,
anzubauen, wie’s das Bedürfnis erheischte. So war etwas wenig Künstlerisches,
aber dafür etwas Pittoreskes und zugleich sehr Praktisches entstanden.“
Als sei dem Hausherrn Wiesike nach seinem Tod die leicht diffuse Planung
seiner Baumaßnahmen nicht mehr ganz geheuer, hat er sich in ein Grab gut 100
Meter tief in einen nahen Wald geflüchtet. Heute wandert man durchs Unterholz,
um diesen Ort der Ruhe zu entdecken.
Einen Fuhrpark mit Baggern lässt man
hinter sich, bevor ein hoher, blickdichter Gartenzaun wohl eine Spur von
Pietät für Wiesike bewahren soll. Ein Reh springt auf, wenn man das Grab
erreicht. Es wirkt empört, als hätte es hier ewig keinen Menschen mehr
gesehen.
Theodor Fontane schrieb seinem Freund, den er „unter Plaues ewig blauem
Himmel“ jährlich besucht hatte, als Nachruf:
„Ich persönlich kann seiner nicht ohne Dank und Rührung gedenken und zähle
die mit ihm verplauderten Stunden zu meinen glücklichsten und bestangelegten.
Jedenfalls aber gehört er in seiner für märkische Verhältnisse merkwürdigen
Mischung von finanzlicher und philosophischer Spekulation, von Pfadfinder und
Sokrates, von Diogenes und Lukull, zu den interessantesten Figuren, die mir auf
meinem Lebenswege begegnet sind.“
Das Grab liegt in Randlage, Plaues gute Stube liegt anderswo. Fontane
notierte:
„Am schönsten ist es aber doch am Rand des Sees, wo Weidicht und Rohr
abwechseln. Besser: Hoch das Rohr steht.“
Dort, wo es am schönsten ist, steht meist das Schloss. Doch das Schloss ist nicht immer das schönste Haus am Platz. Auch in Plaue gilt das, selbst wenn es nur ein bisschen Salbe bräuchte, denn die Haut, die Fassade des Schlosses ist gegerbt.
Das Haus stand lange leer, seit knapp zehn Jahren aber hört man wieder einen Herzschlag. Die Wiederbelebung glückte. Ein Hotel samt Restaurant ist hier zu Hause, 60 Gästebetten stehen bereit. Im Sommerhalbjahr wird im Wochenendrhythmus geheiratet. Die Liebe tut der alten, edlen Hütte gut.
Doch auch hier gilt der Kalenderspruch: Allein mit Liebe ist es nicht getan. Es braucht einen technischen Leiter wie Klaus Schumann, der es gerade furchtbar eilig hat, weil er telefonieren muss. Die Termine drücken. Er hat zu tun, ein gutes Zeichen. Der Laden läuft.
Schumann setzt sich in die Sonne des Schlosshofs, tut gelassen. Und nach dem letzten Bild läuft er zum Auto. „Im Sommer“, sagt er, „wird der Hof bespielt, dann kommt Hank Teufer, der Theatermann aus Brandenburg/Havel, mit seinem Stück über Fontane.“ Schumann ist nicht nur der Mann, der die Schrauben am Schloss justiert, er hat auch Sinn für Kunst.
Theodor Fontane schrieb über diesen Ort:
„Schloß Plaue, wie sich’s gegenwärtig präsentiert, ist in seiner äußeren
Erscheinung, noch immer der Bau, den Friedrich von Görne zwischen 1711 und 1715
hier entstehen ließ. (...)
Aber sowenig in dieser äußeren Erscheinung geändert
wurde, das Innere des Schlosses hat doch erhebliche Veränderungen erfahren, am
meisten in Bezug auf Ausstattung einiger schon durch ihren Umfang in Betracht
kommenden Räumlichkeiten.“
Heute setzen sie im Schloss verhalten auf die Aura von Fontane. Bei Kaffee und Kuchen. Und bei feinem Porzellan, für das sie in Plaue immer schon berühmt waren. Gerne liegt dann ein Buch des Dichters in Reichweite.
Wo wäre so ein Buch zu kaufen? Wahrscheinlich im „Buchladen“ an der Genthiner Straße. Das Schaufenster indessen weist in eine andere Richtung: Dort liegen Dan Brown und Ken Follett. Der Laden ist eng, ein Mann mit dunklem Haar begrüßt den Gast, er wartet hinter einem Postschalter auf Kunden. Das Geschäft mit Büchern ist nicht immer lohnend, darum kümmert er sich auch um die Paketausgabe im Ort.
Fontane? Der Mann überlegt. Nein, Fontane sei nicht der Markenkern des Ladens. „Ich verkaufe nur gebrauchte Bücher, ein oder zwei Euro, mehr kosten die nicht.“ Er schaut sich um. „Die Leute wollen von Fontane sowieso nur dieses eine Buch: Wanderungen durch die Mark Brandenburg.“ Ja, das besitze er, doch hat es gerade nicht nur Hand. „Mein Vater liest es, er will nicht, dass wir es verkaufen. Ich kann es den Leuten zur Ansicht holen. Sie können hineinschauen, aber mitnehmen, das geht nicht.“
Ein Buchhändler, dessen Vater so innig an Fontane hängt, dass er das Buch des Dichters nicht verkauft, ist eine schöne Pointe in diesem Ort, der seinen „Fontane-Wanderweg“ gewissenhaft ausschildert. Sie sind stolz, dass sich der Autor dezidiert und nahezu behaglich über Plaue ausgelassen hat, auch wenn er vor allem Richtung Wiesike gewandert ist.
Um einen Schoppen Wein zu trinken und im Gespräch zu prüfen, ob die Welt noch steht. Wahrscheinlich hätte Theodor Fontane keine hohe Meinung von den Browns und Folletts. Doch dass Paul und Ole, diese wachen Jungs des 21. Jahrhunderts, in die Bremsen treten, um Theodor Fontanes Denkmal zu erkunden, und dabei ihren Helm abnehmen, aus Respekt – das hätte ihn mit unserer Zeit versöhnt.
5 Fakten zu Plaue
Plaue ist ursprünglich eine Stadt im Kreis Westhavelland des preußischen Regierungsbezirks Potsdam gewesen – 1952 wurde sie gemeinsam mit Kirchmöser in die Stadt Brandenburg an der Havel eingemeindet. Rund 2600 Menschen leben hier.
Der Ort liegt am Ausfluss der Havel aus dem Plauer See, nordöstlich der Einmündung des Elbe-Havel-Kanals. In dem bis 1945 im Eigentum der Grafen von Königsmarck befindlichen Schloss Plaue war bis 1993 eine Sprachschule untergebracht.
Westlich und südlich des Schlosses liegt der Schlosspark, er entstand im frühen 18. Jahrhundert zunächst als barocke Anlage. Ab 1860 wurde er durch die Familie von Königsmarck zum Landschaftspark umgestaltet.
Der Plauer Fontaneweg, ein vom Unabhängigen Bürgerverein Plaue und vom Förderverein Schlosspark Plaue erschlossener, kurzer kulturgeschichtlicher Wanderweg, verbindet die Stationen in Plaue, die Bezug auf Theodor Fontane nehmen.
Hin und weg
Unsere Wanderung startet im Schlosspark an der Pfarrkirche. Am besten erreichen Sie diesen mit dem Regionalexpress: Vom Potsdamer Hauptbahnhof aus nehmen Sie den RE 1 in Richtung Magdeburg und steigen in Wusterwitz in die Buslinie 560 (Richtung Brandenburg Hbf) um. Die Endstation heißt Plaue Görneweg. Die Anreise dauert eine Stunde.
Teil 2: Wanderung durch die Altstadt von Neuruppin Vom Rheinsberger Tor zum Fontaneplatz und zurück
Sie sind sich nicht ganz sicher, wie
groß sie diesen Sohn der Stadt, den Dichter Theodor Fontane, in Neuruppin
montieren sollen – eher ungeschützt dem Wind aussetzen, oder als kleine, kluge
Fußnote in die Manteltasche stecken?
Die Stadt entscheidet sich für ein Ost-West-Gefälle: Im Osten, am Bahnhof Rheinsberger Tor, steht die Touristen-Info. Dort gibt es Theodor als Playmobilfigur - als lebensgroßen Aufsteller und in klein, zum Mitnehmen, fünf Euro schwer und nicht höher als ein Textmarker.
Drüben im Westen, am Fontaneplatz, haben sie den Dichter aufs Podest gehoben, überlebensgroß, selbstsicher wie ein Firmenchef ruht er auf seinem Denkmal.
Der kleine und der große Dichter sind die Pole, die das zentrale Neuruppin markieren, von dem Fontane in den „Wanderungen durch die Mark Brandenburg“ spricht. Es gibt zwei Wege, um vom Playmobil-Fontane im Osten zum schweren Bronzemann im Westen zu gelangen.
Einerseits die Magistrale der Stadt entlang, streng geradeaus. Sie heißt Karl-Marx-Straße, auch wenn Karl Marx mit Neuruppin nicht viel zu tun hat – Fontane als ihr Namensgeber wäre eine logischere Wahl gewesen.
Oder man nimmt den Wall, der nördlich einen Bogen zwischen Touristeninfo und Denkmal schlägt.
Fontane
hätte sicherlich den Wall gewählt, der Park gefiel ihm:
„Entzückend Bild! Aus
dem Rasengrund vor mir wachsen allerlei Hagebuttensträucher auf, kahl und
windzerfahren. In diesem friedlichen Augenblick aber hängen die roten Früchte
still am Gezweig und zwischen den Ästen spannen sich Spinneweben aus und
schillern in allen Farben des Regenbogens.“
Auch wenn
kein bunter Bogen am Himmel hängt, zählt diese Anlage noch immer zu den
schönsten, wunderlichsten Ecken der Stadt.
Auf der Wallpromenade sieht man den
Ort von hinten, seine Höfe, Gärten, Schaukeln, die Mütter schieben ihre
Kinderwagen, in denen nirgendwo ein Baby schreit – auch die Kleinen spüren die
Entspannung und Erhabenheit des grünen Gürtels.
Städte fransen gerne aus an ihren Rändern, in Neuruppin scheint sich die Stadt an ihrem Rand zu sammeln. „Wie still, wie schön!“ , seufzte Fontane in seinen „Wanderungen“ (hier ist ein Auszug aus dem Vorwort zu sehen), als er 1859 durch seine Heimat lief. Er schrieb über die Gegend, als sei sie ein Geschenk mit Schleife.
Den Kern der
Stadt hingegen hat der Dichter nicht so sanft umkränzt. Er wurde schroffer,
schrieb um sein Leben, kein Wunder, es war der Ort, an dem Fontane am 30.
Dezember 1819 geboren wurde. Dort hatte er versucht, das Abitur abzulegen, er kam nicht weit und wurde nach Berlin geschickt, ins Internat.
Fontanes Friedrich-Wilhelm-Gymnasium ist geschlossen
worden, im Gebäude, das nun Altes Gymnasium heißt, sitzt heute eine Kunst- und
Musikschule.
Trotzdem
muss man hier die Kronzeugen für die Fontane-Zeit suchen, denn der Dichter hat
nur die ersten sechs Lebensjahre in der Stadt verbracht, ging mit den Eltern
nach Swinemünde an die Ostsee und kehrte für ein Jahr zurück, das Abitur im
Blick. Seine prägenden Jahre lagen in der Kinder- und Jugendzeit.
Hanna und Karl gehen in die 10. Klasse des Gymnasiums, Marie in die siebte, leichtes Gepäck auf ihrem Rücken, die Schule ist aus. Die Mienen sind sorglos, soweit das eben möglich ist während der Pubertät. Fotografiert werden möchten sie nicht. Wenn man sie auf Fontane anspricht, schauen sie verdutzt.
Karls Frisur hat durch die Handvoll Gel den Schub in Richtung Frauenheld bekommen. Hanna, groß
und schlank, sagt kluge Sätze. Sie strafft sich, wirft sich in die Pose einer
Diplomatin: „Ich habe nichts gegen Fontane, aber ich mag es nicht, wenn er hier
überall ein Thema ist, das wird zu viel.“
In der Schule hat sie ihn noch
nicht gelesen, „und ich glaube, auch die meisten, die sich mit ihm schmücken,
kennen seine Bücher kaum.“ Sie findet den Fontane-Kult in ihrer Stadt ein
bisschen
„scheinheilig“. An seinem Namen kommt man hier gerade nicht vorbei.
Und Karl? Hat „das Gedicht mit dem Birnbaum im Unterricht gelernt“, ist jetzt jedoch aus guten Gründen nicht bereit, es einem fremden Menschen vor dem alten Schulhaus aufzusagen. Karl hat es eilig. Wer es mit 16 Jahren nicht eilig hat, hat etwas falsch gemacht im Leben.
Fontanes
Text über die Heimat Neuruppin ist nicht das Zeugnis einer Wanderung, sein Text
gleicht einer Bohrung.
Er lässt sich treiben durch den Ort, ohne klare Route,
er möchte ihn vermessen: mental, vor allem auch historisch. Hier ist er
geboren. War nicht glücklich. Weil die Eltern sich stritten, die Mutter ihn
geschlagen hat und der Vater ein glückloser Spieler war.
Auf dem
Boden jener Jahre wachsen seine Bücher, der Ruhm und die Neurosen. So groß sie
ihn in Neuruppin auch machen, sie haben kein Geburtshaus, das man begehen
könnte. Die Zimmer seiner Kindheit über der Apotheke sind privat bewohnt.
Es ist nicht alles eitel Sonnenschein zwischen dem Dichter und seiner Heimat. Was nichts daran ändert, dass Neuruppin in diesen Tagen eine oft herrlich restaurierte Stadt mit Seele und Geschichte ist. Im Museum des Ortes haben sie gerade die „Leitausstellung“ zum 200. Geburtstag des Dichters eröffnet.
Über sein
Friedrich-Wilhelm-Gymnasium schreibt Theodor Fontane in den „Wanderungen“ sehr kritisch, ging hart mit der offensiv geprägten Architektur, die dem Aufmarsch der Armee gewidmet war, ins Gericht:
„Es wurde nach dem Brande von 1787 auf einem Platzviereck errichtet, auf dem
wenigstens drei Kölner Dome hätten stehen können. Für eine reiche Residenzstadt voll hoher Häuser und
Paläste, voll Leben und Verkehr, mag solche raumverschwendende Anlage die
empfehlenswerteste sein, für eine kleine Provinzialstadt aber ist sie
bedenklich. So entsteht Öde und Leere, die zuletzt den Eindruck der
Langeweile macht.“
Nicht nur
dem weiten Schulplatz vor dem Alten Gymnasium hatte Fontane einen Seitenhieb
verpasst. Er mokierte sich generell über die Sicht auf Bildung und Erziehung:
„Denn ich bekämpfe den Satz und werd‘ ihn bis zum letzten Lebenshauche
bekämpfen, dass der Normalabiturient oder der durch sieben Examina gegangene
Patentpreuße die Blüte der Menschheit repräsentiert.“
Fontane hat nie studiert.
Er hätte Karl und Hanna sicherlich gemocht, die sich auf einen gesunden Argwohn
gegenüber ihren Lehrplänen berufen.
Fontane
hat nie studiert. Er hätte Karl und Hanna sicherlich gemocht, die sich auf
einen gesunden Argwohn gegenüber ihren Lehrplänen berufen.
Auf dem
Schulplatz steht ein Wagen, der frische Crepes verkauft. Daneben ein
Textilhändler, „zwei Paar Damen oder Herrensocken ohne Gummizug“, drei Euro
kosten sie. Kein Ort zum Verweilen, dafür fehlt dem Platz die Dimension der
Geborgenheit.
Da drüben, gleich vor dem Friedrich-Wilhelm-Denkmal, unterhalten sich zwei Frauen über die Lenker ihrer Räder hinweg. Gritt Maruschke und Hania Rothe.
„Mögen Sie Fontane?“ Sie lachen ein vertrautes Freundinnen-Lachen. „Wir sind Tanzpädagoginnen“, erzählt Gritt Maruschke, „und proben mit Kindern gerade ein Stück zu Fontane." Am 11. Mai wird im Neuruppiner Alten Kaufhaus Premiere gefeiert.
Sie möchten
den Verdacht möglichst charmant entkräften, dass sie als Fontane-Fachleute zu
gelten haben. „Ich kenne Effi Briest, im Moment lese ich ein Buch über die
Frauen bei Fontane“, erzählt Maruschke. Sie klopfe Fontane auf ihre eigene
Lebenswirklichkeit hin ab, zur Weiblichkeit hat er ja einiges gesagt.
Der Dichter könne hier und da auch heute noch in Maßen Orientierung geben. „Orientierung ist ein gutes Stichwort“, sagt Hania Roth, die aus Polen stammt und beim Spaziergang am Ruppiner See zufällig immer wieder auf beschilderte Fontane-Wanderwege stößt. „Wenn ich mich verabrede, sagen wir, lass uns am Fontane-Denkmal treffen. Das kennt jeder.“ Fontane strukturiert die Stadt noch heute.
Der Weg von
der Schule zu Fontanes Geburtshaus ist kurz. Man kommt ohne Karte zurecht, weil
das Raster der Stadt sich an die Strenge der rechtwinkligen Straßenzüge von
Manhattan hält.
Das Fontanehaus ist eine Apotheke, die Löwen-Apotheke, der
Vater von Fontane hat sie einst gekauft. Theodor wuchs im ersten Obergeschoss
auf, heute lebt dort eine älteren Dame.
Klingeln. Niemand zu Hause. „Sie arbeitet wahrscheinlich im Garten“, erzählt Nicole Conrad (l.), seit 2005 führt sie die Apotheke. Eine junge Apothekerin, 40 Jahre alt, ihr Haar ist hennarot. „Diese Apotheke habe ich mir bewusst ausgesucht, es ist eine Verpflichtung, hier zu arbeiten.“
Vor drei Jahren hat sie sich Fontane als Bildnis ins Geschäft malen lassen, als jungen Mann, „das passt besser zu mir, auch wenn man ihn sonst meist als alten, nachdenklichen Herrn auf den Gemälden sieht.“
Die rechte
Szene fand das Bildnis in der Apotheke attraktiv, ganz gegen den Willen der
Apothekerin, weil es aus einer nationalkonservativen Zeit stamme, „als nur
Deutsche in Deutschland leben sollten“, erläutert Conrad die wackeligen
Thesen der rechten Szene.
Sie aber verbindet Bodenständigkeit, Zukunftsglauben
und Weltoffenheit mit dem Dichter. Immer wieder sieht sie, wie sich
Touristengruppen vor der Apotheke sammeln, die Reiseführer referieren knapp,
dann müsse der Tross weiter – keine Zeit, in die Apotheke zu schauen.
Nicole Conrad möchte eine Kopie von Fontanes Approbationsurkunde als Apotheker ins Schaufenster stellen, um ihn zu würdigen. Sie hat ausgewählte Fontane-Sätze an die Wand drucken lassen, die seiner Apothekerzeit entnommen sind: „Glück stärkt = Wir reden nicht von Hexenwerk.“ Ihr liebster: „Spazieren zu sitzen, ist ein Genuss.“
Seit acht Jahren hat sie den Fontane-Tee im Sortiment, „Theos Teezeit“, Kräuterbasis, nicht aromatisiert, 2,50 Euro. „Den kaufen vor allem die Neuruppiner.“ Es ist der Nachweis, dass der Prophet etwas im eigenen Lande gilt – wenn er den Leuten Beruhigung verspricht.
Fontane hat in seinen „Wanderungen" viel über die Geschichte der Klosterkirche nahe des Ruppiner Sees geschrieben. An dessen Ufer kam er an in Neuruppin, aus Wustrau traf er mit dem Schiff ein, diese Verbindung gibt es heute nicht mehr.
Aber es gibt den Fontane-Sekt, -Wein und -Williamsbrand, den man im Fenster des Weinhauses am Neuen Markt sieht, wenn man vom See hinauf in die Stadt geht.
Zurück am Bahnhof Rheinsberger Tor, sieht man gegenüber der Gleise das Projekbüro von „Word & Play!“ – einen Slogan, den man ernst nehmen sollte. Wort und Spielen! Wie erwähnt, Fontane hat Neuruppin als Kind bewohnt, Spielen ist die Essenz der frühen Jahre.
Julia Peetz
und Irena Trivonoff Ilieff, zwei junge Frauen, sorgen dafür, dass Fontane nicht
der alte Mann im Ohrensessel bleibt, den man an jeder Ecke sieht. Sie sind
überzeugt: „Fontanes Themen passen hervorragend in unsere Zeit, er wollte das
Alte erneuern, hat die Perspektiven hin- und hergeschoben, hat enorm viel Stoff
für seine Bücher gesammelt und Skizzen gefertigt, Gedanken auseinandergenommen
und wieder zusammengesetzt.“
Sie erzählen
mit einem Feuer, als wäre Fontane einer, der heute als Blogger die Jugend
begeistert. Jemand, der seine radikale Subjektivität im Internet als Wegweiser
unter die Leute streut.
„Ja, das könnte er tatsächlich", sind sie sich
einig. Im Sommer veranstalten sie unter dem Titel „Word & Play!“ in
Neuruppin ein bundesweites Camp, um Videospiele aus Fontanes Themen mit jungen
Leuten zu entwickeln.
Die beiden waren schon auf Werbetour, mit Konstruktionen aus Lego. Das sinkende Schiff des Steuermanns John Maynard, „Er hat uns gerettet, er trägt die Kron, / Er starb für uns, unsre Liebe sein Lohn“, halten sie in Händen. Stolz, als sei es eine Erstausgabe des Dichters. Würde er die beiden kennen, hätte er mindestens eine Ballade über sie geschrieben.
5 Fakten zu Neuruppin
Neuruppin (Landkreis
Ostprignitz-Ruppin) trägt den Beinamen „Fontanestadt“, weil der Dichter Theodor
Fontane hier am 30. Dezember 1819 geboren wurde. Es gibt hier u.a. auch eine Fontane-Dönerbude, Fontane-Ampelmännchen und die Fontane-Therme.
Derzeit leben etwas mehr als
30.000 Menschen in der Stadt, sie ist eine der flächengrößten Städte
Deutschlands.
Die Verleihung des Stendaler Stadtrechts
erfolgte am 9. März 1256 durch Günther von Arnstein. 1688 wurde
Neuruppin eine der ersten Garnisonsstädte Brandenburgs. Hier war Kronprinz
Friedrich 1732-1740 nach seinem erfolglosen Fluchtversuch und anschließender
Haft der Inhaber des „Regiments zu Fuß Kronprinz“.
Nach einem Flächenbrand am 26. August 1787 blieben nur
zwei schmale Bereiche am Ost- und Westrand der Stadt erhalten. Das Feuer brach
in einer mit Getreide gefüllten Scheune am Bechliner Tor aus. Stadtbaudirektor
Bernhard Mattias Brasch organisierte den Wiederaufbau.
Nicht nur Theodor Fontane kommt aus
Neuruppin, sondern auch der Baumeister Karl Friedrich Schinkel (geboren am 13.
März 1781) und die Schriftstellerin Eva Strittmatter (geboren am 8. Februar
1930).
Hin und weg
Unsere Wanderung startet am Bahnhof Rheinsberger Tor. Am besten erreichen Sie diesen mit dem Regionalexpress RE 6: Vom Potsdamer Hauptbahnhof nehmen Sie die RB 20 Richtung Oranienburg und steigen in Hennigsdorf in den RE 6 Richtung Wittenberge um. Die Anreise dauert anderthalb Stunden.
Teil 1: Wanderung am Schwielowsee Von Caputh nach Petzow
Fontane
kannte viele Frauen, Melusine aus dem „Stechlin“, die aschblonde Lene aus
„Irrungen, Wirrungen“ mit ihren Rechtschreibfehlern. Und Effi aus „Effi
Briest“.
Weil das keine Bars sind, sondern Bücher, gibt es diese Damen immer
noch. Theodor Fontane hat sie konstruiert, beatmet und in die Männerwelt
geworfen. Aber eine Tussi hat es bei ihm nie aufs Cover geschafft.
Deshalb
überrascht es, dass „Tussy II“ die Wanderwege von Fontane kreuzt. Doch Tussy II
gehört nicht zu den pinken Partymädchen, ihr Name führt uns in die Irre.
Sie
ist wetterfest, knapp 21 Jahre alt, schlägt Wellen – und ist nicht ungeduldig.
Ist das nicht der perfekter Sound für eine Partnerbörse?
Doch „Tussy II“ ist
ein riskantes Pseudonym, es zieht die falschen Kerle an. Sie sagt von sich, sie
stamme aus dem „Baujahr 1998“.
Man muss
sich keine Sorgen machen, Tussy II hat einen guten Mann gefunden. Einen
Fährmann, der auch mal lacht und keine Radler über Bord wirft, wenn sie auf dem
Schiff falsch parken.
Tussy II, so heißt die Fähre zwischen Geltow und Caputh
(Potsdam-Mittelmark), drei Minuten Fahrzeit, 50 Cent für eine Fahrt pro
Fußgänger. Der Fährmann sagt, er fährt hier nur im Winter, sonst steuert er die
„Feierschiffe“ auf der Havel.
Feierschiff. Ein Wort aus ferner Zeit. Denn im
Moment bläst kalter Wind. Nirgendwo ein Zapfhahn.
Ausgerechnet
Tussy II, die einen Hauch von Party schon im Namen trägt, ist ein
Verkehrsschiff ohne Flausen. Nachfolgerin der ausgesprochen rot bemalten Tussy
I, die auf Geltower Seite wie ein toter Dinosaurier liegt. Als Erinnerung.
Sie
wurde 1942 gebaut, das Jahr, in dem man überlegte, eine Brücke zwischen Caputh
und Geltow zu spannen. Hat man verworfen. Und lieber Tussy I
zusammengeschraubt.
Wie das
Schiff hieß, mit dem Fontane 1869 übersetzte, hat er nicht erwähnt. Aber es hat
ihn beeindruckt:
„Grün und weiß die Planken und Ruder; das Segel war noch an
den Mast gebunden. Wir stiegen ein zu dritt, mit uns die Söhne des Fährmannes,
drei junge Caputher Midshipmen zwischen zehn und vierzehn, die auf dem Schwilow
für den vaterländischen Dienst sich vorbereiten, wie einst der Peipus die hohe
Schule war für die werdende russische Flotte.“
Die Idee mit der Brücke ist gestorben. „Keine Angst, das wird nichts mehr“, klare Worte des Fährmanns. Er hat den sichersten Job am See. Die Fähre wird gebraucht.
Genau wie damals, als Theodor Fontane übersetzte, nachdem er im Caputher Gasthof Boßdorf - der stand möglicherweise hier in der Weberstraße 11 - das „beste Bier“ der Gegend getrunken hatte.
Er schrieb vom
„Schwilow“, wie er ihn nennt, in seinem zweiten Band der „Wanderungen durch die
Mark Brandenburg“ im Kapitel „Havelland“:
„Der See ist gutmütig, so sagen wir;
aber wie alle gutmütigen Naturen kann er heftig werden, plötzlich, beinahe
unmotiviert, und dann ist er unberechenbar.
Eben noch lachend, beginnt ein
Kräuseln und Drehen, nur ein Wirbel, ein Aufstäuben, ein Gewölk – es ist, als
führe eine Hand aus dem Trichter, und was über ihm ist, muss hinab in die
Tiefe. Es gibt ganze Linien, wo die gescheiterten Schiffe liegen.“
Wo findet man diese Wracks? 150 Jahre nach Fontanes Wanderung hat Tussy II die exklusive Herrschaft über den See.
Es ist ein matter Tag, das Licht scheint ausgeknipst,
der „Schwilow“ ist ein anderer als der, von dem Fontane spricht. Sein See war
eine Sommerfrische:
„In dem Moment der Landung, wo immer es sei, scheint die
Welt aus lauter weißgekleideten kleinen Mädchen mit rosa Schleifen zu
bestehen.“
Gerade sitzen die kleinen Mädchen in der Schule, die in Caputh nach Albert Einstein benannt wurde, nicht nach Fontane. Einstein ist der große Mann des Ortes, Fontane war nur ein Durchreisender.
Oder täuscht der Eindruck? Wir müssen die These erhärten. Und Zeugen finden. Die Mädchen sind in der Schule und die Schiffe im Verhau, wo sie auf den Frühling warten.
Darum ist Tussy II derzeit das einzige Mädchen auf dem See, Tragfähigkeit 23,6
Tonnen, maximale Achslast 11,0 Tonnen. Sie hat Kraft. Doch damit kokettiert sie
nicht.
Zehn Kilometer am Tag fährt Tussy hin- und her, erzählt der Fährmann. Und
klingt wie ein zufriedener Konditionstrainer.
Fontane traf
sein Urteil über Caputh und Petzow, der Ort am Ufer gegenüber, in einem
leichtfertigen, metropolenhaft erregten Satz:
„Wie Buda-Pest, oder wie Köln und
Deutz ein Doppelgestirn bilden, so auch Caput und Petzow.“
Buda und Pest? Köln
und Deutz? Hätte er noch zu Manhattan und Brooklyn gegriffen, dann wären Caputh
und Geltow heilig gesprochen.
Aufgenommen in den Reigen der Geschwister-Ufer, die sich in die Augen blicken und nicht recht wissen, ob sie einander lieben oder konkurrieren. Sie sind per Brückenschlag verbunden. Das bleibt Caputh und Geltow verwehrt.
Nein, kein Brooklyn und Manhattan bei Fontane. Doch er nennt Caputh „das Chicago des Schwilowsees“. Heute denkt man beim alten Chicago an Mafia und lockere Knarren. In Fontanes Tagen war das anders. Er bezog sich auf den Handelsstandort:
„... nicht bloß End- und Ausgangspunkt der Zauche-Havelländischen Ziegeldistrikte, nein, es ist auch ein Stationspunkt, an dem der ganze Handelsverkehr vorüber muss.“
Das hat sich
geändert. Auf dem Schwielowsee regiert die Lustbarkeit, wer hier ab Frühling
Segel setzt, tut es aus Muße, nicht mehr im Dienst der Ziegel. Auch Fontane hat
den Schwielowsee als Biotop der Naherholung und des guten Bieres gepriesen.
Er
wollte mit dem Boot hinaus. Als er überlegte, ob er abends nach Berlin fahren
oder am See übernachte solle, mahnte sein Reiseleiter: „Sie kennen Boßdorf
nicht. Er hat das beste Bier und die besten Betten. Boßdorf ist ein Name in
dieser Gegend.“
Boßdorf! Das
Problem, wenn man im Winter 2019 zu Boßdorf will: Niemand weiß präzise, wo
dieses Gasthaus lag. Es gibt zwei Denkrichtungen in Caputh, die der
Heimatforscher Heinz H. Schmal in seinem kleinen Heft, 18 Seite stark, zwei
Euro teuer, umreißt.
Bosdorf, wie er bei Schmal heißt, hätte bei Fontanes
Besuch im Jahr 1869 seine Gaststätte in der Weberstraße 11 (Foto) oder in der
Weinbergstraße 11 führen können, an beiden Orten gab es Ausschank.
Wer hat Gewissheit? Heinz H. Schmal rät ab, diese Recherche auf eigene Faust zu vertiefen: „Für diejenigen Leser, die sich beide Adressen ansehen möchten, muss ich gleich vorausschicken, dass sich in beiden Häusern keine Gaststätte mehr befindet. Es sind private Wohnhäuser, deren Bewohner in Ruhe gelassen werden wollen.“
Ein Märker, der nicht reden will – es ergäbe keinen Sinn, an Naturgewalten zu rütteln.
Vertrauen wir Heinz H. Schmal: „Nach dem Tode von Johann Carl Andreas Bosdorf erhielt das Anwesen in der Weinbergstraße 11 also 1867 seine Witwe Caroline Friederike, geb. Leo. Und von diesem Zeitpunkt an unterscheidet sich die Geschichte der beiden Grundstücke. Während das Grundstück in der Weberstraße verkauft wird, verbleibt das Grundstück in der Weinbergstraße im Besitz der Familie, und zwar bis nach dem 2. Weltkrieg.“
Es scheint entschieden: Fontane logierte in der Weinbergstraße, gleich am Fähranleger.
Wer hinüber
will nach Geltow, um auf Fontanes Spuren Richtung Petzow zu wandern, muss in
Caputh noch nach Gewissheit suchen: Einstein oder Fontane, wen von beiden
lieben sie hier heißer?
Wer die Touristeninformation erreicht, sieht auf dem
Banner vor dem Haus ein Einstein-Zitat: „Das Schönste, was wir erleben können,
ist das Geheimnisvolle.“
Einstein mit seinem Caputher Einsteinhaus, ein Sommerhaus aus Holz, in dem er von 1929 bis 1932 lebte, ist im Ort der Hausheilige. Ein stationärer Mann, der für eine Weile Wurzeln schlug.
Der Wanderer Fontane gilt hier als ambulanter, gern gesehener Gast. Einer, der bald weiterzog. Nach einem Bier bei Boßdorf und einem Blick auf die Schleifen der Mädchen.
In der
Caputher Touristeninformation trifft man Uschy Lehmann und Ulrike Spaak.
Fontane? Zu ihm wird es ab Anfang Juli eine App geben, mit Interviews, Lesungen
und Erläuterungen über seinen Aufenthalt im Ort. Gedacht für Fahrradfahrer und
Wanderer.
Aber, das räumen sie ein, Einstein stehe gerade beim internationalen
Publikum noch eine Stufe über Theodor Fontane. Internationale Gäste?
„Vor allem
die Niederländer kommen, sie haben die Ostseeküste gründlich erkundet und
fahren mit ihren Booten nun aufs Binnengewässer. Bis runter auf den
Schwielowsee.“
Verlassen
wir Caputh. Rüber nach Geltow, dann über die Baumgartenbrücke Richtung Petzow, wo sich auch die Schinkelkirche (Foto) befindet.
Fontane vergleicht Petzow fast schamlos mit Caputh, wie zwei Schwestern, auf
der Suche nach der hübscheren:
„Caput ist ganz Handel, Petzow ist ganz
Industrie. Dort eine Wasserstraße, eine Werft, ein Hafenverkehr; hier die Tag
und Nacht dampfende Esse, das nie erlöschende Feuer des Ziegelofens. Schönheit
der Lage ist beiden gemeinsam; doch ist Petzow hierin weit überlegen, sowohl
seiner eigenen unmittelbaren Erscheinung, als dem landschaftlichen Rundblick,
den es gestattet.“
Das Urteil
ist streng persönlich und lässt sich – auch heute noch – anfechten. Dennoch
spielt es Fontanes Urteil in die Karten, dass sich das „Resort Schwielowsee“ (hier vom Aussichtspunkt bei der Altmannlinde in Caputh aus fotografiert),
eine Feriensiedlung mit gehobenem Preis und weltläufigen Hinweisschildern aufs
„Restaurant Seapoint“, „Havanna Bar“ und „Event Center“ eben ans Ufer von
Petzow schmiegt, das Fontane so belobigt hat.
Das mächtige Resort wirkt wie ein
Schloss der Neuzeit – den Königen unserer Tage freilich wird gnadenlos auf die
Finger geschaut. Der Hotelier Axel Hilpert wurde zu einer Haftstrafe
verurteilt, weil er sich mit dieser Ferienanlage Millionen an Fördergeldern
erschwindelte. Das Haus ging insolvent. Nun hat es einen neuen Betreiber.
Das viel
ältere, historische Schloss in Petzow aber ist eigentlich ein Gutshaus im Kern
des Ortes. Fontane mäkelte:
„Der Bau, wie er sich unter Efeu und Linden darstellt, wirkt
pittoresk genug , ohne dass er im übrigen besonders zu loben wäre. Es ist
bemerkenswert, dass alles Gotische oder aus der Gotik Hergeleitete auf unserm
märkischen Boden seit der Wiederbelebung dieses Stils nicht gelingen wollte.“
Das Gutshaus wird in Eigentumswohnungen aufgeteilt, sie werden derzeit verkauft: „Wohnen, wo andere Urlaub machen. Erwacht aus einem langen Schlaf – das Schloss Petzow“, so steht es vor dem Eingang.
Auf dem Weg zurück ins Dorf liegt die Fontane-Klause. Sie hat noch zu. Und wirbt mit Wildgerichten. Doch richtig wild wird es hier erst im Sommer.
5 Fakten zum Schwielowsee
Der Schwielowsee (Potsdam-Mittelmark)
gehört zur Kette großer Seen im Flusslauf der mittleren Havel. Er ist circa 786
Hektar groß, seine größte Längsausdehnung liegt bei 5,4 Kilometern, die
maximale Breite bei 2,0 Kilometern.
Die tiefste Stelle des Sees misst 9,1 Meter,
seine durchschnittliche Tiefe beträgt 2,8 Meter.
Am Ufer des Schwielowsees liegen die
Dörfer Caputh, Ferch und Petzow, heute sind es Ortsteile der Gemeinde
Schwielowsee. Geltow berührt das Ufer des Sees nur punktuell.
Vor etwa 19.000 Jahren entstand der See während
der frühen Weichsel-Eiszeit.
Die Maler Karl Hagemeister und Carl Schuch
begründeten im 19. Jahrhundert in Ferch die „Havelländische Malerkolonie
Ferch“. Auch Eugen Bracht und Hans-Otto Gehrcke malten an den Ufern des
Schwielowsees.
Ferch war seit 1927 Gehrckes Lebensmittelpunkt, dort hatte er sein Atelier und brauchte nur aus dem Fenster zu schauen, um sich für seine Boot-Motive (Foto) inspirieren zu lassen.
Hin und weg
Unsere Wanderung startet am Bahnhof Schwielowsee in Caputh. Am besten erreichen Sie diesen mit der Regionalbahn-Linie RB23 - vom Potsdamer Hauptbahnhof aus fährt diese nur zehn Minuten und startet jede Stunde, immer um fünf vor halb, Richtung Michendorf.
Die Wanderung endet am Schloss Petzow. An der Bushaltestelle "Schloßpark" hält die Linie 607, die Sie in knapp 40 Minuten zurück zum Potsdamer Hauptbahnhof bringt. Auf dem Weg dorthin hält der Bus auch am Bahnhof Schwielowsee.