Ein Turmbau mit Geschichte
Nach langem Streit wird nun der Turm der Garnisonkirche in Potsdam wiederaufgebaut: Der Weg dorthin war geprägt von langen Debatten und großen Protesten. Kann aus der Kirche mit schwieriger Geschichte ein Ort der Versöhnung werden?
Die MAZ zeichnet in der Multimedia-Story die Geschichte der Kirche nach, zeigt spektakuläre Aufnahmen und Videos – und erklärt die Debatte um dieses historische Gebäude.
Was war und was ist
Dort, wo im Jahr 1732 die Garnisonkirche stand, ist heute eine freie Fläche. Gut zu erkennen auf beiden Bildern: Das Stadtschloss (am Bildende in der Mitte) und die Hiller-Brandtschen-Häuser (Mitte rechts), deren Fassade restauriert wurde, heute sind in den ehemaligen Bürgerhäusern Luxuswohnungen.
"Tag von Potsdam"
Der 21. März 1933 wird immer mit der Garnisonkirche verbunden sein und ist das Hauptargument der Wiederaufbaugegner.
Beim "Tag von Potsdam" kommt es zu einem Handschlag zwischen Reichskanzler Adolf Hitler und Reichspräsident Paul von Hindenburg. Das Bild geht später um die Welt und steht heute wie kein anderes
symbolisch
für die Machtübernahme der Nazis.
Das sagt eine Kritikerin
Hildegard Rugenstein ist eine Kritikerin des Wiederaufbaus. Die
Pastorin der Französisch-Reformierten Gemeinde sagt, warum sie den Bau ablehnt.
Die Kirche des Soldatenkönigs
Die Kirche ist im 18. Jahrhundert auf Anordnung des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I. gebaut worden. 1732 wurde sie eingeweiht. Er und sein Sohn Friedrich der Große wurden außerdem dort beigesetzt.
Befürwortern des Wiederaufbaus gilt der barocke Bau als wichtiges Potsdamer Wahrzeichen, das im Stadtbild fehlt.
Das sagt ein Befürworter
Wieland Eschenburg von der Stiftung Garnisonkirche ist für den Aufbau und nennt ein Argument.
Der Kirchturm steht in Flammen
14. April 1945: Am Abend wird Potsdam von Alliierten bombardiert. Weite Teile der Innenstadt werden zerstört. Die Garnisonkirche wird nicht getroffen, doch Flammen eines benachbarten Gebäudes greifen auf den Kirchturm über. Der hölzerne Teil des Turms steht in Flammen. Die Glocken erklingen im Feuersturm ein letztes Mal und fallen schließlich zu Boden. Wenig später stürzt die Turmspitze
zusammen.
"Die Nacht von Potsdam" - das Minutenprotokoll der Zerstörung
Ein Augenzeuge erinnert sich
Horst Goltz hat den brennenden Turm der Garnisonkirche
am 14. April 1945
mit eigenen Augen gesehen. Er war damals 15 Jahre alt.
Nach dem Angriff
Beim dem Luftangriff auf Potsdam, der "Nacht von Potsdam",
brannte das Innere des Kirchenschiffs aus, der Turm stürzte teilweise in sich zusammen.
Der Abriss wird beschlossen
Märkische Volksstimme vom 25. Mai 1968: "Zu den
(…) Arbeiten gehört (…)
der Abriss der Ruine der Garnisonkirche. Die Stadtverordnetenversammlung fasste
trotz mehrerer, vor allem kultur-historischen Erwägungen getragener
Gegenstimmen, diesen notwendigen Beschluss, da (…) dem Ausbau der
Wilhelm-Külz-Straße große Bedeutung zukommt, die Ruine der Kirche aber in das
Profil dieser Straße hineinragen würde. Zum andern musste das Zentrum der
elektronischen Datenverarbeitung an dieser Stelle zentrumswirksam angeordnet
werden. (...) Kulturhistorischen Bedenken kann man entgegenhalten, dass
sich Potsdam mit den staatlichen Schlössern und Gärten, der Restaurierung der
Wilhelm-Staab-Straße, dem Kulturhaus „Hans Marchwitza“ und mit der vorgesehenen
Einbeziehung der Nikolaikirche und des Marstalls Verdienste bei der Pflege der
kulturhistorischen Bausubstanz erworben hat. Großen Beifall in der
Diskussion (…) gab es für Genossen Willi Herzog, Kranführer am Interhotel, der (…)
die Grüße der Bauschaffenden überbrachte (…): „An uns Bauarbeitern soll es
nicht liegen, die Aufgaben bei der Gestaltung unseres schönen, sozialistischen
Stadtzentrums zu erfüllen, so dass unsere Kinder und Enkel stolz auf unsere
Leistungen sein können“.
Die Ruine wird gesprengt
Ausgerechnet an einem Sonntag setzt die DDR-Führung die Abrisspläne um. Am 23. Juni 1968 legen Sprengstoffexperten - zur Gottesdienstzeit - den Turm der Kirche in Schutt und Asche.
Rechenzentrum ersetzt Kirche
Das Rechenzentrum wird 1969 bis 1971 nach Plänen einer Architektengruppe um Sepp Weber gebaut. Es steht teils auf dem Grundstück der Kirche.
Das Glasmosaik „Der Mensch bezwingt den Kosmos” des DDR-Malers Fritz Eisel erstreckt
sich über drei Außenwände.
Das Rechenzentrum und die Kunstszene
Heute haben im Rechenzentrum viele Künstler ihr Büro. Unter anderem auch die Lichtkünstler von "Xenorama". Sie erweckten im Januar 2017 das Glasmosaik in einer spektkulären Installation zum Leben.
Wie lange das Rechenzentrum noch stehen wird, ist ungewiss. Der Stiftung der Garnisonkirche gehört ein Teil des Grundstücks, auf dem das Rechenzentrum steht. Das Kunst- und Kreativhaus soll vorerst bis 2023 erhalten bleiben.
Die 1990er-Jahre
Die Debatte um Wiederaufbau beginnt: Immer mehr Menschen spenden. Am 14. April 1991, 46 Jahre nach der Bombardierung, wird der Stadt das rekonstruierte Glockenspiel der Kirche übergeben. Initiator: Bundeswehroffizier und Vorsitzender des Vereins Traditionsgemeinschaft Potsdamer Glockenspiel, Max Klaar.
Die PDS, stärkste Fraktion im Stadtparlament, lehnt den Aufbau ab. In der Stadt werden Unterschriften für und gegen den Aufbau gesammelt. Die Gegner stören sich an der Vergangenheit der Kirche, die Befürworter sehen die Kirche
als einen bedeutenden
Bestandteil der Potsdamer Innenstadt-Architektur. Der Konflikt wird sich in den kommenden Jahren verschärfen.
Umstrittener Aufbau-Befürworter
Bundeswehroffizier Max Klaar ist einer der engagiertesten Aufbau-Befürworter. Rund 30 Jahre setzt er sich für die Garnisonkirche ein, sammelt Spenden. Zu den Geldgebern gehörten unter anderem Richard von Weizsäcker, der Versandhausgründer Werner Otto spendete einst drei Millionen Mark.
Der rechtskonservative Klaar gerät wegen revanchistischer Aussagen immer wieder in die Kritik. Außerdem will er in einer wiederaufgebauten Kirche keine gleichgeschlechtlichen Trauungen zulassen.
Nachdem die Kritik an Klaar immer lauter wurde, gibt er
2015
sein Engagement schließlich auf und zieht sich zurück. Das gespendete Geld wird auf andere Einrichtungen verteilt.
Grundstein und Kritik
Die Debatte um den Wiederaufbau nimmt an Fahrt auf. Potsdams damaliger Bürgermeister Matthias Platzeck (SPD) spricht sich dafür aus. Er könne sich eine "Stätte der Friedensforschung, des antifaschistischen Gedenkens oder eine Stätte der Begegnung der Religionen vorstellen".
2004 gilt als Initialzündung für den Wiederaubau. Beim sogenannten "Ruf aus Potsdam" wird zu Spenden aufgerufen und die Grundsteinlegung beschlossen, die ein Jahr später gefeiert wird.
Die evangelische Kirche gründet eine neue Stiftung zum Wiederaufbau der Garnisonkirche. Die Kosten für den Wiederaufbau werden auf 40 Millionen Euro geschätzt.
Die temporäre Kapelle
Gut sechs Jahre vor dem Baustart des Turms wird 2011 ein provisorischer Andachts- und Ausstellungsraum an historischer Stelle eingeweiht. In einem Gottesdienst betont der frühere Ratsvorsitzender der Evangelischen Kirche in Deutschland, Wolfgang Huber, dass die temporäre Kapelle den Blick für das öffne, was kommen soll.
Kirchengegner provozieren
Am Vorabend des 80. Jahrestages des "Tages von Potsdam" veranstalten Kritiker des Wiederaufbaus 2013 einen makaberen Aufzug: Fackelträger in imitierter NS-Uniform;
totenkopfähnlich geschminkte Gesichter; rote
Armbinden mit Garnisonkirchen-Emblem; immer wieder Stechschritt. Dazu wird skandiert: „Protestantismus führt zu Faschismus!"
Der Umzug zeigt, dass der Streit um die Garnisonkirche längst nicht beilegt ist.
Baugenehmigung wird erteilt
Die Stadt Potsdam macht 2013 den Weg für den Bau der Kirche frei und erteilt die Genehmigung für den ersten Bauabschnitt, den Turm der Garnisonkirche.
In den folgenden Jahren bewilligt die evangelische Kirche fünf Millionen Euro in Form von Krediten.
Die Bundesregierung stellt außerdem eine Förderung von zwölf Millionen Euro in Aussicht.
2014 startet die Initiative "Potsdam ohne Garnisonkriche" ein Bürgerbegehren.
Stimmen gegen den Wiederaufbau
Bei einem Bürgerbegehren kamen 2014 zwar genügend Stimmen zusammen, zu einem Bürgerentscheid kommt es aber nicht. Gegner und Befürworter werfen sich anschließend Trickserein vor. Dem Wiederaufbau steht nun nichts mehr im Wege.
Der Wiederaufbau beginnt
Der Wiederaufbau soll rund 38 Millionen Euro kosten. Zunächst wird eine Grundvariante der Kirche gebaut. Die 27,5 Millionen Euro werden teilweise aus
Spenden finanziert. TV-Moderator Günther Jauch etwa spendete 1,5 Millionen Euro für die Aussichtsplattform. Für den Aufbau der Kirche wird weiter Geld gesammelt. Drei Tage vor Baustart am 29. Oktober bewilligt der Bund endgültig 12 Millionen Euro.
Die Bildmontage zeigt, wie Potsdams Stadtmitte bald aussehen könnte.
Festakt auf Brachfläche
Im Oktober 2017 endet mit dem Start des Wiederaufbaus ein langer Streit und eine erbitterte Diskussion. Am Sonntag wird mit einem Festakt der Baustart gefeiert. Altbischoff Huber wird die Predigt halten.
Der Start des Baus bedeutet aber nicht das Ende der Diskussion um den Wiederaufbau der Garnisonkirche. Das Thema wird die Stadt in den kommenden Jahren noch bewegen.
Ein Beitrag von
Hajo von Cölln, André Bauer und Christian Meyer